Um 1967

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Aufzeichnung um 1967

Das Artistische und das Optische müssen vorerst als Begriffe so definiert werden, wie ich sie malend verstehe. Eine Malerei ohne System, ohne geistige Struktur ist keine Malerei. Malerei ist geistige Setzung der Farbe – geleitet und begleitet von einem System. Dieses System ist für meine Malerei eindeutig artistisch, das heißt ganz ohne Hinblick auf die Natur und die uns umgebende sichtbare Welt, ganz ohne jede Beziehung dazu, sondern lediglich in Beziehung zu sich selbst, zu Fläche und Farbe. Außerdem ist das Optische nicht das physikalisch Optische der Farbenlehren, nicht einmal des Farbenkomplementärdreiecks von Delacroix, sondern das Optische ist in meiner Kunst das Anschaubare und Angeschaute, das Farbenbild.

Vorerst zeigen Farben räumliche Wirkungen, die für die Fläche aufzuheben sind, denn es geht ja um Verwirklichung, also Anschauung als Realität. Das berühmte Wort von Laotse »nicht die Speichen machen das Rad, sondern die Zwischenräume« hat mich schon sehr früh an die Frage der positiven und negativen Formen der Farbfläche geführt. Schließlich, in den Scheibenbildern, ergaben sich die positiven Formen als Scheiben und die Zwischenformen als Negativformen. Dadurch, daß ich die Scheiben ordnete entstanden geometrische punktuelle Figurationen, Figuren, wie etwa Sternbilder Figuren bilden. Also [als] allgemeines Beispiel etwa: blaue Scheiben, rote Scheiben, gelbe Scheiben – im Wechsel der Farbe als positive und negative Werte. Das war ein recht durchgearbeitetes System einer ›Begehung‹ der Fläche durch die Farbe.

Wenn es auch selbstverständlich dabei dazu kam, daß sich komplementäre Kontraste ergaben, so ist doch das Verhalten der Komplementärfarben zu primitiv und nicht mehr als nur das Allergrundsätzlichste damit zu finden. Die Variationsmöglichkeiten der komplementären [Farben] sind, wenn man an die vielen möglichen Blaus, Gelbs und Rots und deren Kombinationen denkt, unendlich. Auch fand ich eine Art Auswahl gemäß einer gewissen Anordnung eines Zahlensystems, in dem die geraden und ungeraden Zahlen von ungleich bis zu extrem ungleich, also nicht-gleiche Zahlenverhältnisse, gesetzt wurden.

Der Kolorist wird, je weiter er kommt, seine Palette vereinfachen. Und er wird das Weiß als Beimischung zu anderen Farben höchst selten, möglichst gar nicht verwenden. Jedes Bild erhält seine eigene Farbindividualität.

Interessant und wesentlich ist, daß ich immer Farben so setzte, daß jede Farbe im Bild, da jedes Bild einen eigenen Farbkreis besitzt, sich wiederholend an anderer Stelle, in anderer Umgebung, vorkommt, ohne daß Rücksicht auf die Umgebung genommen wird. Diese fugale Setzung der Farbe, vorerst in den Scheibenbildern, später in den neuesten Bildern, nimmt also auf optisch physikalische Bezüge und Reflexe der Farben zueinander keine Rücksicht.

Schließlich, durch die einfache Reihensetzung sich wiederholender drei oder vier oder mehr Farben, die in gleicher Abfolge sich wiederholen – von links nach rechts z.B. – löste sich das Hauptproblem, die Aufhebung des Unterschiedes von negativen und positiven Werten, dies ist schließlich für die Malerei ›der Stein der Weisen‹, das untrügliche Kriterium der Qualität einer Malerei. Nicht die Speichen, sondern die Zwischenräume machen das Rad. Nur Speichen gleichgesetzt den Zwischenräumen, positive Werte gleichwertig den negativen Werten machen das Idealmaß der Bildfläche aus. Ich weiß, als ich mit 22 Jahren anfing, sagte ich mir, male wie ›Wellblech‹. Wellblech, also Fläche in geringfügigen Höhen- und Tiefenillusionswerten, die sich ständig wiederholen, wobei die Farbe selbst, geistig, durchaus auf einer Fläche in einer Ebene zu stehen hat. Dann die reine weitere Form der Aufhebung dieser Wellenillusion und Setzung der echten Realisation der Farbe, aber in Verbindung mit formalen Ablaufen in kongruenter Art. Kongruenz soll bedeuten, daß [ein] logischer Bezug nicht angestrebt ist. Ich weiß, was es bedeutet, Bilder der Farbe zu malen, ohne daß Löcher dabei entstehen, und weiß, wie viele Maler entweder Löcher machen oder sie durch beihelfende Zeichnung zu umgehen versuchen.

Die Wertung der Farbe als Gefühlswert lehne ich ab. Der Ausdruckswert des Bildes liegt in der geistigen Struktur, der geistig sinnlichen Formulierung der Fläche. Die Farbe als Anschauung vermittelt die Anschaubarkeit dieser geistigen Formulierung, ohne daß Reflexionen aufkommen. Farbe ist ein inkommensurabler Wert. Die physikalische Kenntnis von Farbe ist naturalistisch und führt zu Naturalismus, also zur Nichtform. Diesen unmeßbaren Wert der Farbe zu ordnen in einem System, dieses System offen zu halten, eine gewisse Störung einzukalkulieren, darin liegt die Möglichkeit, dem Menschlichen Zugang ins Bild zu verschaffen, und hin und wieder zu einem bisher unbekannten Anschauungsbild vom physischen Menschen vorzudringen. Die echte Realität der Farbe als Fläche, also die vollkommene Ausschaltung der Illusion, der Scheinbarkeit, das ist das geistige Anliegen meiner Malerei. Von selbst emaniert diese Realität zugleich [ein] Anschauungsbild vom Menschen.

Über den Autor

von E.W.Nay