um 1967

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Aufzeichnung um 1967

Verbindlichkeit im Sinne der Verpflichtung an ein System des farbig-formalen Gestaltens, Unverbindlichkeit im Sinne der Freiheit, dem unbedingten Folgen der Intuition. Das also wäre doch die Synthese. Diese Synthese ist ohne selbstverständliche Bejahung der Gegenwart, der Zeit, der in unserer Zeit vorhandenen Probleme nicht wirksam, nichts.

Dieser Geist unserer Zeit, das bedeutet für den Künstler, daß er die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts als die Zeit der Entdeckung der Malerei als geistige Setzung im Sinne der Unabhängigkeit des Menschen, der Unabhängigkeit von allen bisherigen Ordnungen, also den Strukturen, die die Geschichte geschaffen hat, als Grundlage und als fertiges und erledigtes Geschehen ansieht, das nicht mehr wegzudenken ist, das also weiter wirkt, ohne daß eine Fortführung oder Nachahmung möglich wäre.

Wir sehen allerdings überall Fortführung und Nachahmung in tausenderlei Kombinationen, sehen, daß ein Teil der bürgerlichen Fachleute darüber äußerst glücklich ist. Ein Künstler z.B. hat die Reste des Surrealismus mit der Renaissancemalerei verbunden und sogar eine Kreuzigung gemalt, welche Beglückung für den Spießer. Also kehrt doch nun alles wundersam zur alten Renaissance zurück, worauf der Experte studiert hat.

Und andere Beispiele. Die Wirkungslosigkeit von Pop und Op art, diese Witzlosigkeit, die man vorsichtig – eben wegen des Geldes – auch Komerzialisierung nennt, ist auch dem Spießer erfreulich, denn nun ist auch der irre Dadaismus nach 40 Jahren ein angenehmer Spaß. Früher war’s ein épater le bourgeois, wandte [man] sich gegen die biedermeierische Zufriedenheit – heute geht alles friedlich zusammen. Das Beamtentum im Menschen hat also gesiegt.

Und doch, erstens will niemand dazu gerechnet werden, obwohl bei einfachem Ansehen das Beamtete, d.h. das Beruhigte, Gehorsame doch den Ausschlag gibt, trotz Minirock und Beat. Das sind ja gar keine Erscheinungen von Belang, das sind freundliche, oft hübsche Dinge, wenn sie nicht gerade von 60-jährigen vorgeführt werden.

Zweitens gibt es genügend moderne und einsichtige und kluge und verständige Menschen, die sich die eigene Unabhängigkeit bewahren. Einer davon sagte – und ich provoziere hier, aber er sagte es wirklich, und es war nicht irgendeiner, sondern ein Mann der Gesamtorientierung, – er sagte, daß diese Kunst, die Sie hier sehen, die Kunst der Amerikaner überrundet habe. Das darf ein Westdeutscher nun natürlich nicht sagen, und es ist auch ungebührlich, es über sich selbst zu sagen. Aber Pop und Op und auch die Systemic art sind bereits am Ende. Mehrere versuchen sich noch darin in unserem Lande und mehrere versuchen sie einzuführen, aber nichts davon – so sagte schon Schulze-Vellinghausen – ist original, alles ist Aufguß. Eine Jugend, die nach freundlich biedermeierischem Aufstand, der sich nur bis zur Gestik wagte, hat Pleite gemacht. Und dann ist in Westdeutschland ja die Aufgabe der kunstfördernden Kritiker und Kunstmanager damit zusammengebrochen, also das Drillen auf Nachahmung ausländischer, besonders amerikanischer Tendenzen in der Kunst hat sich totgelaufen. Ich habe dieses Drillen immer belacht und dementsprechend waren viele nayrotische Feinde von mir. In Amerika war ich zu oft, um nicht zu wissen, daß dort alles sehr schnell wechselt und der europäische Künstlertyp, der eine Entwicklung in sich hat, ist dort unbekannt. Ich bin für Amerika sehr eingenommen, aber ich hab’s mir halt genau angesehen. Und auch dort ist das Ende dieses freundlich biedermeierischen Versuchs mit der Naturation zu Ende.

Zurück also zur Einzelpersönlichkeit, zurück zum Subjektivismus, zur absoluten, unabhängigen Freiheit des Geistes, fort vom Team- und Klassengeist. Wir Westdeutschen haben das Glück, keinen Staat zu haben, und ich finde es lächerlich und undurchdacht, daß Grass und Böll sich mit etwas herumschlagen, was es gar nicht gibt, mit dem Staate, und ihn wünschen. Wir sind froh, daß wir statt Staat eine Verwaltung haben, und ohne Staat ist die Kunst ungestörter. Oder haben wir Staatsmänner? Ich sehe keinen einzigen. Es sind alles freundliche oder unfreundliche Beamte.

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von E.W.Nay