um 1967

u

Entwurf einer Rede zu einer Ausstellungseröffnung

In unserem Lande war es seit jeher Brauch, zu einer Eröffnung eine Rede zu halten. Diese Rede sprach immer in den erforderlichen Tönen von der dargebotenen Kunst.
Reden wir mal nicht von der Kunst, auch nicht von meiner Kunst. Reden wir mal von der Gegenwart in unserem westdeutschen Land. Grass und Böll haben mehrfach gegen unseren Staat heftige Angriffe losgelassen. Beide also wollen einen Staat, beide wollen also aus ihrer Natur heraus zwar die Freiheit des einzelnen, aber diese Freiheit wollen sie in der Ordnung eines Staates sehen. Und sie sind mit diesem Staat unzufrieden. Was ist falsch daran? Falsch ist es zu sagen, wir hätten einen Staat, und zu wünschen, daß es anders sei. Falsch ist es, einen Staat zu wünschen. Durch Zufall, wenn Sie wollen, haben wir keinen Staat, sondern eine Verwaltung. Unsere Staatsmänner sind nur Mandarinen. Leider kommt der so hochlöbliche Untertangeist der Deutschen dabei zu kurz. Das letztlich zu erstrebende Ziel des Kommunismus sei die Abschaffung des Staates, so von Lenin, über Stalin, Chruschtschow. Wir also haben bereits dieses Glück. Ob nur die Verwaltung abschaffbar ist, wollen wir freistellen. Ich fürchte, sie wird eben zu wenig sein. Dies also das eine, daß wir uns glücklich schätzen sollen, keinen Staat zu haben, weder der Bund noch die Bundesländer. […]

Über den Autor

von E.W.Nay