Aufzcichnung vom 12.7.1967
Matisse hat mit 80 Jahren den Drehpunkt von der absoluten Malerei zu neuen Möglichkeiten der Kunst in seinen papiers coupés aufgezeigt. Man kann nicht von Matisse, auch nicht von diesen papiers coupés ausgehen und weiterarbeiten. Aber die große Erfindung der absoluten Malerei, die in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts geschah, ist nicht umsonst identisch mit der Freiheit des modernen Menschen von und zu allem. Ein langes Hin und Her, das man dann Pluralismus nannte, oder ein diesem und jenem erfreulich erscheinende Kombination von Stilformen – besonders beliebt Renaissance und Surrealismus – brachte das Ende der absoluten Malerei. Die Pause, die dann eintrat, wurde mit einer Wiederholung der Antikunst, diesmal den Bürger nicht erschreckend, sondern ihn gefahrlos amüsierend, weil es sich ja nicht um Kunst handelt, ausgefüllt. Wurde, sage ich, denn Wissende haben das Ende dieses Naturalismus bereits gesehen. Diese Pause ist also nicht Avantgardismus. Diese Pause zeigt sich auch im heutigen Ausfall verschiedener Facetten der gesamten Vorstellung vom Menschen. So sagte ein berühmter englischer Komiker: »Die Engländer haben zuviel Sex im Kopf, aber das ist nicht der richtige Platz.« Sex ohne Phantasie (also ohne die gesamte Einschaltung des Menschen) ist langweilig. Aber wenn die gesamte Einschaltung des Menschen nicht da ist und alles, was danach aussehen könnte, mit Recht als albern abgetan wird, bleibt nur – und dies ist immerhin sinnvoll – Sex als Sex. Heraus kommt, wie allerseits festgestellt wurde, Langeweile.
Die absolute Malerei – artistisch formal (für den Künstler ist so, und nicht anders, der Inhalt des Wortes Kunst begreifbar) – geht dahin weiter, daß sie einmal weiterhin die Freiheit des modernen Menschen proklamiert, zum anderen, daß der Mensch sich selbst [ein] Bild des Menschen damit erfindet. Damit! Das heißt u.a. auch mit der Ablehnung des letzten Begriffes der alten Malerei, der Geometrie. Die Formenwelt, Klee und Kandinsky haben, wenn auch nicht aus der Farbe, mit diesem Gedanken Umgang gehabt, nämlich daß die Arithmetik, das Verhältnis der Zahlen, der modernen Kunst zugrunde liegen wird. Und hier setzte meine Scheibenmalerei ein, der dann die Reihensetzung folgte, die die schon bereits von einigen erkannte Setzung [eines] unbekannten Bildes des Menschen aufzeigt. –
Einmal also keine Zeichnung – in Deutschland schwer erfaßbar – sondern Malerei! Und die Farbsetzung ist denn doch die äußerste und höchste Form der Flächenkunst – vor der Zeichnung! Denn Farbe ist inkommensurabel und gibt die Möglichkeit, die einzige Möglichkeit, Synthese und Intuition nahtlos zu verbinden. Die Arithmetik also schafft mit einem Zahlen- und Quantenverhältnis ein neues System der Farbsetzung. Dieses System hat die Chance [ein] Bild des Menschen, [ein] neues Bild des Menschen unserer Zeit, sichtbar werden zu lassen und die Facettierung zu komplettieren.