24.11.1967

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Nay zum Tode von Arnold Rüdlinger[1]
Publiziert in: ›Christ und Welt‹, Stuttgart, 24.11.1967

[…] der inspirierte Mensch, dessen intuitive Fähigkeit der der Künstler glich, ist tot. In aller Welt, in Europa, in Amerika, in Japan, überall, wo die moderne Kunst lebt, überall dort wird seiner schmerzlich gedacht. Künstler und Kunstfreunde, Schriftsteller, Sammler, Museumsleute, Kunsthändler und Kritiker, das ganze Instrumentarium der bildnerischen Gestaltung, betrauert diesen Menschen. Er war ein internationaler, übernationaler Mensch, geboren in jenem Toggenburg in der Schweiz, in dem ›Der arme Mann von Toggenburg‹ von Ulrich Bräker entstanden ist, und hat dies Toggenburg als Herzstück seiner Natur behalten. Ich will damit andeuten, daß er ein offener, einfach sich gebender, nicht intellektueller Mann war, unbefangen, gütig, mit den kindlichen Augen der großen Männer. Augen, wie sie Calder hat.

Und dann wirkte er in die Welt mit diesem Fond, in die internationale Welt. Und hatte die Fähigkeit, der Intuition der Künstler unserer Zeit zu folgen – in einer wunderbaren, nur wenigen gegebenen Lässigkeit und Heiterkeit des Zusammengehens. Oft lange bevor die Öffentlichkeit den Künstler erkannte. Niemand wohl hat weniger aufbringen müssen, um mit den Künstlern zu gehen als er, weil er nur seiner Natur zu folgen brauchte – ohne Korrekturen. Man wird nach den Kontrasten fragen, die dies zu Wege brachten. Er war ein sehr kluger Mann, nicht intellektuell, aber klug. Das war das Geheimnis seiner Natur, das war das, warum ich ihn einen inspirierten Menschen nenne. Ich entsinne mich vieler Abende mit ihm im Kreis von Künstlern und Kunstfreunden, es wurde gegessen und getrunken, wobei wir von seiner noblen Art, seinem Elan und seinem Humor immer wieder begeistert waren. Man will diesen Tod nicht glauben. Dabei sind wir alle ganz unsentimental. […]

Seine Ausstellungstechnik war bewundernswert. Das Auge, das Herz, die Kraft, die Stärke, die Klugheit und immer diese ihm eigene höchste Sensibilität dem Werk und dem Künstler gegenüber, die zur Zeit von den Massenmedien in Unkenntnis der Gesellschaftsstruktur der heutigen Menschheit bedroht ist.


[1]     Arnold Rüdlinger, Direktor der Kunsthalle Basel.

Über den Autor

von E.W.Nay