24.5.1966

2

Beitrag zum Katalog der Ausstellung ›E. W. Nay‹
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart
12. November – 25. Dezember 1966

Meine Kunst ist bis aufs Äußerste unliterarisch und verlangt, daß die Mittel das Bild bedeuten, wobei das Bild als Anschauung allein zu Tage tritt. Meine Kunst vermeidet die Raumillusion, auch jene Raumillusion, die durch artistische Mittel in Fläche verwandelt wird. Diesen vollständigen Mangel an Raumillusion sowie deren Umsetzung zur Fläche hat die moderne Malerei von der alten Malerei übernommen und gleichfalls als höchste Forderung aufgestellt, sehr oft dagegen verstoßen (siehe z.B. Kurt Badt[1], Klee, Jahresringe 64/65). Grünewald immer, Altdorfer nur manchmal, hatten jenen Mangel an Raumillusion als Malerei, setzten aber die Übereinkunft mit der äußeren Natur hinzu. Diese Übereinkunft entfällt heutzutage als Zeichen der modernen Unabhängigkeit. Bei meiner Kunst fällt nun überhaupt jede Legitimation durch außerkünstlerische Elemente fort. Ihr Sinn ist in der Anschauung der elementaren Malerei erfaßbar, erfahrbar. Also: was auf einer Malfläche ohne Raumillusion ein und dieselbe Ebene bildet, das ist auf jeden Fall aktiv, denn der Unterschied von passiven und aktiven Formen, der zu der Umsetzung der Raumillusion in Fläche gehört, entfällt. Alle Formen, aktive wie passive, sind gleichwertig. In der Tat ist es eine exzentrisch scheinende Ambition, das an sich zurückweichende Blau zur Aktion zu bringen, das aber muß geschehen, wenn es um Malerei, also bei [um] Fläche als Ebene, geht. Malerei ist geistige Setzung, nicht Pinselführung. ›Löcher‹ dürfen nicht entstehen! Diese exzentrische Ambition ist nicht durch Ausrechnung zu erreichen, sondern geschieht in Verbindung mit der Gestaltung sowohl meditativ wie ekstatisch, beides ist dasselbe! Das bildnerische Ereignis als Bild wird als ›umfassend‹ wahrgenommen und ist weit entfernt vom l’art pour l’art.


[1]     Kurt Badt (1890-1973), Kunsthistoriker und Schriftsteller, lebte von 1939-1952 in London, war davon fünf Jahre am Warburg Institute tätig, lebte ab 1952 am Bodensee. Zahlreiche kunsttheoretische Veröffentlichungen (›Raumphantasien und Raumillusionen‹) und 1969 eine bahnbrechende Monographie über Nicolas Poussin.

Über den Autor

von E.W.Nay