Entwurf einer Rede zur Eröffnung der Ausstellung ›Nay‹
Galerie Günther Franke, München, 14. Juli – 21. August 1967
Ich möchte anläßlich dieser Ausstellung über zwei Fragen einige Gedanken äußern.
Einmal über die fortschreitende Arithmetisation als bildnerisches, also bildformendes Element. Zum Zweiten über die Andeutung, daß sich im Laufe dieser Arithmetisation ein bisher nicht vorhandenes Anschauungsbild des Menschen, das also nicht aus der Kombination alter und neuer Vorstellungen bestünde, herausstellen könnte.
Alle Menschen sind überzeugt, daß das der Antike und der Renaissance entnommene Anschauungsbild des Menschen auch für den modernen Menschen gültig sei. Man weiß, daß der Frühmensch naturalistisch zeichnete und erst mit fortgeschrittener Bewußtwerdung abstrakt bis ungegenständlich wurde. Und dabei in dieser Form Menschendarstellungen formulierte.
Man stelle sich vor, man kenne alle je entstandenen Menschdarstellungen und vergäße alle vollkommen. Dann könnte man kombinieren, daß nach der großen abstrakten Periode der Moderne die Intuition sich der Menschdarstellung zuwenden könnte gemäß jenes erwähnten prähistorischen Vorganges. Und zugleich der weiteren Absoluten Abstraktion – ebenfalls analog jener zitierten Vorgänge.
Also der Ausgangspunkt dieser kleinen Untersuchung muß sich so darstellen, daß alle bisherigen Bildgesetze ebensowenig beachtet werden wie alle bisherigen Menschdarstellungen.
Ebenso wie das Bild durch die nicht mehr wegzudenkenden Bilderfindungen der letzten 60 Jahre seine absolute geistige Freiheit und Identität der Mittel nicht mehr aufgeben kann, war doch dieser Vorgang ein wirklich mit allen inneren und äußeren Ereignissen identisches Geschehen, ebenso müßte also die Bild- und Mensch-Identität, und hier also die Bildidentität und die Menschdarstellungsidentität, als Zeitidentität zur Anschauung kommen. Die neue Synthese lautet also: neues bildgestaltes Bild und aus dieser Gestaltung neue Menschdarstellung.
Ich habe je weder meine Seele an die Wand gemalt noch die Harmonie des Universums sichtbar machen wollen. Ich habe aber sehr lange ein Farbordnungsbild gesucht, das in gar keiner Weise physikalische Gesetze benutzte, sondern eindeutig artistisch war. Notwendig waren Abkehr von Illusion und Geometrie. Die Scheibe ist nur als Kreis oder Kugel geometrisch, für mich war sie ein vergrößerter Farbpunkt, der erst durch Arithmetisation, also Relationen der Zahl, bildwirksam wurde. Das Scheibensystem führte zum Reihensystem, in dem die Scheibe durchaus mit auftritt.
Jetzt spreche ich von den hier ausgestellten Bildern. Die meist senkrechten Reihen bestehen aus sehr verschiedenen Streifen, die in ihrer Form, ihrer beiderseitigen Begrenzung, nicht immer in kausaler Relation zueinander sich befinden. Sehr oft ist eine absolut andere, dem Bild fremde Streifenform dazwischen gesetzt. Die Farbe ist oft in einer einfachen Wiederholungsreihe gesetzt, von beiden Seiten lesbar. Auch dieses Farbprinzip hat Willkürlichkeiten. Und daraus entstehen merkwürdige Findungen, Übereinstimmungen von Farbe, Form und Deutungsmöglichkeit. Wie immer in meiner Kunst sind Rhythmen, Farbgrößen und Zahlengrundlagen dabei wirksam. Aber niemals eine physikalische Naturalität. Meine Farbigkeit ist immer dieselbe geblieben.
Nun laufen also zwei Bildformen nebeneinander her, das Arithmetisch geformte Farbbild und das Bild des freien Einfalls, das, so scheint es, eben die Bilderfindung unbefangen dem Maler vor Augen führt. Ich meine aber, daß man das eine Bildsystem vom anderen Bildsystem im Grunde nicht unterscheiden kann. Und damit dürfte man vom Ganzen als von einer Synthese sprechen.