Juni 1965

J

Auf der Insel Kreta entstandene Niederschrift

Immer ging ich seit 1950 davon aus »Dilettant meiner selbst zu sein« – ein Wort von mir aus jenem Jahr – also allgemeine Gültigkeit von Formulierungen des Malens zu negieren und eine eigene zu entwickeln. Es entstand die Möglichkeit, mit fertigen Scheiben in ihrer Kongruenz zur Fläche bildnerisch farbige Postulate für mich zu finden, die keine Ähnlichkeit mit bisher bestehenden Postulaten hatten. Scheiben gab es, aber diese waren physikalisch – chromatisch im Sinne einer physikalischen Farbenlehre gesetzt (Delaunay). Dann Freundlich, Kupka; der eine, Freundlich, der Farbbewegungen entwickelte, kinetisch, doch als Fläche, also innerhalb der bildnerischen Grenzen, Kupka, der den Flächenillusionismus zum unbekannten, unbegrenzten Raum entwickelte.

Meine Scheibenidee war vorerst vollkommen artistischer Natur. Ist der Komponist Tonsetzer, so wollte ich Farbsetzer sein mit den Mitteln der Farbe in Verbindung von Rhythmus, Quanten, Dynamik, Reihen zur Fläche.

Dies war richtig, denn ich erfand für mich meine Art der absoluten Malerei. Das Verbindliche dieser Malerei – der gesamten Malerei – liegt in ihrer Ausstrahlung der freien, selbstschöpferischen, unabhängigen, von allen Bindungen freien modernen Persönlichkeit.

Ich habe bis zur neuesten Periode meiner Kunst ab und zu Perioden der bewußten Gestaltung gehabt, dazwischen meist Perioden, in denen ich dem Instinkt und Einfall mehr folgte und die bewußte, rationale Gestaltung erst als Überprüfung zuließ. »Was der Nay alles so vor sich herrollt!«

Ich bin also von zwei Seiten, von der instinktiven wie von der rationalen her –abwechselnd – vorgestoßen. In meiner absoluten Malerei war von Anfang ein Moment wirksam, das mir die Kritik der Konsequenten eintrug wie die Zustimmung der Unabhängigen. Irgend etwas von Mensch war spürbar, nicht sichtbar. Nicht, daß das ein Mensch gemacht hat, sondern daß das Bild von der Form her etwas emanierte, was auf außerhalb des Bildes Vorhandenes deutete. Dies war keine Absicht, aber zweimal wurde ich abrupt über meine Kunst von ›Fachleuten von Rang‹ gefragt, was ich mit ihr wolle. Beide Male – das erste Mal wurde ich abgefertigt, das zweite Mal erkannt, sagte ich ohne Nachdenken sofort ein Wort, das für alle Kunst gilt, das aber restaurativen Geistern sogleich Übereinstimmung mit der Natur, dem Kosmos bedeutet, ich sagte: ›Wirklichkeit‹. Der normale Europäer versteht unter Wirklichkeit bei Ausschaltung jeglicher Möglichkeit der Abstraktion, die Übereinstimmung mit dem, was Natur ist. Darauf komme ich noch zurück – auf die ›Wirklichkeit‹.

Vorerst ein Wort zur engagierten Kunst. Ein Künstler, der seine Kunst macht, um irgend etwas Menschliches – Außerkünstlerisches der Mitwelt mitzuteilen, flieht vor der Kunst, vor dem formenden Bilden, das in jedem Fall allein der Sinn des Tuns des Künstlers ist. Flucht in die Umwelt statt Griff in die selbstentworfene Welt der eigenen formalen Äußerung. Der Stil ist Form allein. Also ist engagierte Kunst ein Unding, eins der vielen Undinge, die nun endlich zugrunde gehen. Kunst kann nicht politisch, sozialkritisch und ähnliches sein. Unsere Zeit, die die Restauration so sinnlos betreibt, nenne ich die Endmoräne der Renaissance, und Renaissance besteht ja bekanntlich aus römisch-hellenistischem Erbe.

Was also der Bürger – und nicht einmal allein der Spießer – Kunst nennt, ist Nebenprodukt und, wenn dies vom Künstler her gewollt war, sinnlos und also Kitsch. Daher die Erscheinung heutzutage und vor 40 Jahren, ganz ohne Kunst Aussagen zu machen. Das ist wenigstens korrekt. Aber Kunst zu machen mit den alten Mitteln geht nicht mehr. Jede Kunst muß sich ihre Mittel selbst finden, nur die geometrischen Mittel und die der Illusion von Raum auf der Fläche sind abgenutzt und nicht zeitgemäß. Zeitgemäß dagegen ist die arithmetische Setzung bildnerischer Formen als Fläche, d.h. eine Formung, in der die Zahl wesentlichstes Moment ist und nicht der Kubus. Die Perspektive ist damit versunken.

Es ist also so, daß Kunst heutzutage prinzipiell arithmetisch ist, dies also ist verbindlich, wie früher das Geometrische. Damit also muß von nun an der Künstler seine autodidaktische, dilettantische Selbsterfindung ansetzen. Das ist ein ganz entscheidender Wandel. Die autodidaktische Erfindung meiner Kunst ist der Anfang einer neuen arithmetischen Kunst. Also mit diesen Mitteln sich eine Möglichkeit einer Ordnung aufbauen, unakademisch, direkt also nicht übernehmbar, sondern nur in Neuerfindung einer anderen Lösung. Und diese Ordnung kann dennoch nicht mehr hergeben als Trampolin sein, von dem der Künstler abspringt, um im freien Nichts Materie zu verdichten. Denn dann spricht eben noch die Persönlichkeit, die Individualität mit, die diesen Formordnungswillen ständig zerbrechen muß. Der Künstler also erfindet sich selbst seinen Widerstand, an den zu prallen ihn zur Tat aufreizt.

Das schwierige Kapitel der Wirklichkeit soll damit beginnen, festzustellen, was Wirklichkeit bisher war. Die Anschauung, die vorgeführte Anschauung – das gesehene Ding ebenfalls – sei also identisch mit der Harmonie des Universums, und diese Identität herzustellen, war das Ziel des Künstlers. So – trotz scheinbar fernliegender Beispiele auch der modernen Kunst – bis heute.

Man nahm also einen geordneten Seinsgrund an, einen Geist, der das Universum ordnet, und der Mensch sei ein Teil dieser Ordnung und habe diese Teilhabe zu erleben. Die Kunst gäbe also davon anschauliches Zeugnis. Das Heute widerspricht all dem aufs schärfste.

Der forschende Geist verrät uns, daß von einem ordnenden Weltgeist, Geist, der das Universum ordnet, nichts zu spüren ist. Das alles sind Vorgänge der Materie, Verwandlungen des Stoffes, von Materie zu Energie. Auch nimmt man mehrere Universen an. Das alles ist nicht mehr mit Kunst zu identifizieren.

Der Mensch und die Kunst identifizieren sich durch sich selbst. Die Definitionen der Kausalität gelten nicht mehr, es gibt keine Dualität Geist und Materie. Die ›Natur‹ ist ein Geschehen der Materie. Der Geist ist ein im Menschen vorhandenes, dem Bewußtsein entspringendes menschliches Ereignis. Vorerst also kann man sagen, daß jene Reflexeinstellung, daß der Mensch das Universum reflektiere und dadurch lebe, nichts mehr bedeutet!

Zur Zeit sind es Denkprozesse, die meine Kunst mehr denn je begleiten und sich in Anschauung – weiterhin reine Anschauung ohne Reflexion verwandeln. Anschauung eines Formereignisses eigener Erfindung scheint eine Definition zu sein für die Wirklichkeit des Künstlers. Die Kunst heute bedarf keiner Täuschung, keiner illusionistischen Tendenz. Beides ist sogar zu vermeiden. So treten auch für die autodidaktische dilettantische Betätigung von Kunst einige Verbindlichkeiten auf: Fläche, Farbe, gestalteter Formkomplex. Da herausgehen, heißt vor Kunst fliehen. Flucht gibt es also in vielerlei Gestalt, aber alle Gestalten haben eins gemeinsam: den Illusionismus. Auch die Photographie im Kunstwerk ist ›Illusionismus‹ also unkünstlerisch.

Begleitet die Kunst das Leben oder formt sie das Leben? Sie formt es, ohne die Menschen formen zu wollen. Wenn ich aber nun für den Vorrang der Kunst vor dem Engagement plädiere, so bleibt das Engagement für die künstlerische Sprache und ihre Anschaung bestehen.

In meiner Kunst nun tritt in der künstlerischen Formulierung noch ein Anderes auf. Es ist nicht die natürliche Natur, der sichtbare Gegenstand, der sichtbare Mensch. Aber es ist eine Abstraktion des Menschen, eine Aussicht seiner habhaft zu werden, in der Formwelt gemäß einer Realität, die heute als solche erkannt werden kann. Kunst kann nicht in der Luft hängen. Sie ist an die Zeit gebunden, wie an das Leben und die Existenz des Künstlers. Die Zeit aber heute ist erstens in noch nie dagewesener Weise schnellsten Wandlungen unterworfen, in einem Menschenleben fünf und mehr Wandlungen grundsätzlichster Art. Und diese Wandlungen lösen alle, aber auch alle Gültigkeiten auf. Wenn der Mensch in Gefahr ist, geht er auf die Straße und schreit. Aber nicht der Mensch, der in der modernen Gegenwart das Bewußtsein seiner selbst von sich aus zu formen bemüht ist, also bewußt lebt. Er wird versuchen, der Gefahr zu begegnen, sie zu verstehen, sie in die Gewalt zu bekommen, ihrer Herr zu werden, schließlich mit ihr eins zu werden. Der Geist und die Form stehen ihm beiseite. Hat er die Kraft nicht, kann er nur schreien oder Witze machen oder sich Illusionen zuwenden. Eine nicht akademische Kunst, eine autodidaktische Kunst also, deren Qualität als Romantik zu bezeichnen ist, steht in einem Verhältnis zu den Naturwissenschaften, zur modernen Mathematik. Das zeigt die Zeit der deutschen Romantik, das zeigt der Impressionismus, der Expressionismus nicht. Diese Beziehung wird heute kaum erkannt.

Das Verhältnis der Kunst zu den Naturwissenschaften ist keineswegs so, daß die Kunst die Ereignisse der naturwissenschaftlichen Forschung wiederzugeben habe, das wäre Unsinn und ein Unding. Doch die tatsächlich durch die Forschung sich zeigende vollkommen veränderte Situation des Menschen im Raum des Universums, im Kosmos, im Verhältnis zu Zeit und zum Raum, die Unbezogenheit des Menschen von heute auf das Universum, neu und ungeklärt, das alles läßt nicht zu, daß der Mensch als Körper, sowie er sich sieht und gesehen wird, als Erscheinung greifbar sein kann, wenn es um das künstlerische Formen geht. Bilder der gegenständlichen Darstellung des Menschen bleiben im Äußerlichen, Soziologischen, Täglichen. Ein harmonikaler Grund ist nicht festzustellen, ein Grund, in dem Universum wie Mensch gebunden seien. Es bleibt nur der frei im Leben schwebende Mensch, der keine irgendwie geartete Gegenstandsform zur Verfügung hat, sich körperlich sichtbar zu machen. Die heute vorhandenen Arten der gegenständlichen Darstellung sind Restbestände einer ausgehenden Weltvorstellung, Zeichen der Endmoräne der hellenistisch-römischen Vorstellungswelt. Das ›Nichts‹ ist noch etwas gegen das, was heute darunter zu verstehen sein könnte. Das Nichts ist ein Begriff des 19. Jahrhunderts. Heute ist anstelle des Nichts eine durch gar keine Andeutung je dingbar werdende Offenheit zu allem. Wie wenn ein Mensch mit beiden Händen in die Luft griffe und langsam daraus irgend eine Formvorstellung, ein Signet, ein Problem sichtbar würde, wie es die Malerei, wie es die Mathematik tut, mehr ist das als alte Formen und Vorstellungen vergangener Zeiten – und seien sie auch erst 40 Jahre vergangen – zu benutzen. Ein Manipulieren mit dem Offenen, da ist [ein] gewisser Vergleich zu sehen zur Forschung. Im Begriff der Wirklichkeit liegt also der Vergleich. Es gibt keine geistige Verbindung zwischen dem Menschen und dem Atom. Es gibt eine physische, aber die ist ungreifbar, unvorstellbar, undinglich. So erfindet der Mensch sich selbst. Er erfindet sich neu, weil ihn sein Leben dazu treibt. –

Die allgemeine Restauration – besonders im eingeschlafenen Westdeutschland – ist die Abwehrstellung der bürgerlichen Welt gegen diese Offenheit und Selbsterfindung. Da die bürgerliche Welt nicht ablehnen mag, um sich nicht bloßzustellen, versucht sie zu amalgamieren. Wenigstens bleibt dadurch die Kunst am Leben. Schon aber 1965, zwanzig Jahre nach der Nazizeit, hört man von politisch wichtigen Leuten den Ausdruck ›Entartung‹ und den Ruf nach Gegenständlichkeit. –

Wir leben nicht im technischen Zeitalter, nicht im sozialpolitischen, sondern wir leben im wissenschaftlichen Zeitalter.

Freud unterscheidet das animistisch-magische Zeitalter, das religiöse Zeitalter, das mit Moses beginnt, und das wissenschaftliche Zeitalter.

Also eine Kunst in diesem wissenschaftlichen Zeitalter. Logisch wäre, da die Kunst erst magisch bedingt war, dann religiös, daß sie nun wissenschaftlich bedingt sei. Aber der Mensch ist nicht mehr derselbe. Die Proportionen haben sich erheblich verschoben. Im Parallellauf zur Wissenschaft könnte man vielleicht die Kunst von heute entdecken. Die Kunst ist ja auch nicht mehr absichthaft und auch nicht mehr sinnbildhaft. Auch nicht mehr Schein. Doch geistig setzt sie etwas für etwas, ist sie Schein. Dieser geistige Schein darf nicht technisch oder naturalistisch mißbraucht werden. Der Weg, die Linie ist sichtbar. Ich beschreite sie, von Schritt zu Schritt, von Sprung zu Sprung. Und ich bin niemals abgewichen, so oft man es auch meinte, stellte sich später heraus, daß der Weg, der Sprung, Fortsetzung war. Es ist nicht allgemein klar, daß nur der stete Wandel, auf der Potenz der Persönlichkeit fußend, das Leben des Künstlers ausmachen kann.

Auf der einen Seite stehen heute die Konkreten, auf der anderen die Realisten, zu denen alle Surrealisten gehören, Pop und Op art. Die konkrete Malerei, die absolute Gestaltung als Formgestaltung an sich, aus Fläche, Farbe und Linie, steht für die ungebundene Freiheit des Denkens des heutigen Menschen im Zeitalter der Wissenschaft. Die Realität direkt zu erzeugen und einfach mit der absoluten Malerei zu koppeln, das wäre zu sinnlos und einfach. Eins von beiden würde dabei immer unterliegen und meist die konkrete Kunst, also das Formen. Und dann gibt es eben jene immer wiederkehrende Illustration statt Kunst, denn die Formgestaltung muß heute so sein wie die Realität. Diese Realität ist der komplizierteste Punkt. Auf jeden Fall muß sie aus der Formgebung hervorgehen und nicht die Formgebung aus der Realität. Denn die Realität ist das heute Ungreifbarste.

Es ist also zu sehen, wo die beiden sich berühren und übereinstimmen könnten. Die Plan-Flächen-Gestaltung – ohne Perspektive, ohne Raum steht auf der einen Seite unverfälschbar. Und es gibt keinen mythischen Grund, der verbinden könnte, der aufzuspüren wäre. Die mythische Kreisidee Meister Ekkeharts ist heute unfruchtbar. Und jetzt ist Natur als Anatomie der Atome, Moleküle, der Energie-Materie zu verstehen. Das Poetische da herauszuziehen ist so sinnlos, wie es gegensätzlich aus alten Überlieferungen (z.B. Mond – Liebe) hinzuzufügen. Die Metaphern daraus sind vollends verbraucht. Ich würde heute auf jeden Fall mißverstanden werden, wenn ich sagen würde, daß ich als 20jähriger an zwei Künstlern vollkommenster Gegensätzlichkeit interessiert war, weil man heute weitgehend analysieren müßte, warum damals, und wieso das heute in dieser Form nicht möglich ist. Auf die Gefahr hin, der Dummheit zu dienen, sei’s gesagt: Matisse und Friedrich. Der reine Farbform-Künstler und der reine magische Künstler. Heute ist beides nicht denkbar, schon gar nicht in dieser Art. Aber indem ich jene Jugenderlebnisse mitteile, erkläre ich, daß mein Ansatz so war und meine Entwicklung diesen Ansatz als roten Faden hat.

Daß ich in Serien arbeite, ist bekannt. Ich stelle zwei Arten von Serien fest, Plateau-Serien, das sind solche, in denen etwa bis zu 14 Bilder aus einem Komplex entstehen, und empirische Serien, in denen zwischen den Plateau-Serien einzelne Komplexe angeklopft werden: jetzt zum Beispiel die Diaphanie als gemalte Form, die von mir immer wieder hervorgeholte Perforation aus dem Wechsel von großer, freier, absoluter Malerei und Verdichtung auf ein Symbolzeichen pluralistischer Art. Die verschiedenen Ambitionen dieses Pluralismus, jetzt gerade eben die Meditationsformel des modernen Menschen, während die Frage nach dem Einhalten des gerade noch nicht Gegenständlichen zur Selbstverständlichkeit wurde. Auch die Pluralität in der Eindeutigkeit der Anschauung; als Angeschautes kann eine Formschrift mehrere sehr divergierende Vorstellungen suggerieren, Augen und Sex als Kürzel von Mensch! Die Farbe verbindet sich von selbst, oder besser: das erste Anzeichen eines Bildes, ehe es Formandeutung annimmt, ist eine farbige Idee. Da das Bild erst im Malen entsteht, lege ich Wert darauf – besonders seit der letzten Zeit – in einem einmaligen Arbeiten zu Rande zu kommen.

Da alles Tun als Kunst wie als ›nicht-Kunst-Erscheinung‹ Schein ist, immer Schein bleibt, indem nichts es selbst ist, sondern alles in der Transparenz, der Transposition sich aussagt, bleibe ich bei den einfachen, immer einfach gesetzten Mitteln der Leinwand und der Farbe. Ich habe nie versucht, der Farbe Symbolwert zuzugestehen. Es ist ein uferloses und zufälliges Bemühen, das nicht ins Mittelbare zu verwandeln ist. Selbst wenn ich nicht mitteilen will, teile ich mit, das ist klar, es handelt sich da ja nur darum, wo sich die Mitteilung im geistigen Prozeß befindet.

Bei dieser Art meiner Kunst kann sich niemals Wiederholung einstellen, sondern alles ist gesetzt auf die Hoffnung der einen Person, der meinen. So bleibe ich unkommerziell, was in unserer Gegenwart schon fast selten ist. Solche Bemerkungen werden als unangenehm empfunden oder, wenn der Künstler Erfolg hat, als unwahr.

Das tut nichts, ist es doch außerordentlich sinnvoll, wenn sich ein Künstler immer einen Rest oder mehr von Diffamiertheit einbehält oder sie provoziert. Die Reihe der mir bisher zugedachten Diffamierungen ist lang, eine ganz schön lange Latte von bösen, sehr bösen Worten.

Die Gegenstände, die uns umgeben, die wir uns machen und anschaffen, sind weder als Dinge noch in der Nachahmung mehr, d.h. bedeutender als Gebrauchsgegenstände. Sie sind Chimaeren, die durch gar keine geistige, mystische, sinnliche Mythifikation mehr bemerkenswert sein können. Wir leben umgeben von den Formen der Zivilisationsgegenstände nicht anders als Asketen, die all das nicht haben. Wir sind darin weniger als die Menschen der neolithischen Restbestände der Menschheit.

Dies erstens, weil unsere Sicht diese Gegenstände nicht mehr ins Auge bekommt, jedenfalls nicht mehr anders als ein Stück Seife, geformt als Osterei oder geformt als nacktes Mädchen; zweitens weil unsere Sicht davon ablenkt, mit ungeheuerlich neuen Materialien vollauf beschäftigt ist, diese überhaupt zu sehen und sich ihrer zu bestätigen. Eine seelische Wirklichkeit gibt es nicht.

Wirklichkeit ist erst durch Anschauung Wirklichkeit. Die direkte und allgemeine Wirklichkeit schaltet also einfach ganz aus. Man kann eine Fläche in positive und negative Formen aufteilen, die positiven Formen werden wirklicher sein als die negativen. Man kann die positiven Formen zu Bezeichnungen von Assoziationen machen – aber nicht nach jeder Richtung hin, sondern nur gemäß der Bildsprache. Und nicht nach jeder Qualität und jedem Maßstab zur äußeren Wirklichkeit hin. Hier ist unserer Zeit eine Grenze gesetzt durch die Forschung, die Wissenschaft, die Naturwissenschaft. Eine Grenze allerdings, die eine Beschränkung zugunsten einer ungeheuren Verständigungsmöglichkeit über Wirklichkeit darstellt, einer neuen, unserer Zeit gemäßen Verständigung. Die daher entstehenden Kürzel müssen identisch sein mit der autistischen Freiheit des gegenwärtigen Menschen. Die Kürzel sind also formal an Bedingungen geknüpft. Geheimlehre für den, der die Bildsprache nicht mitliest, offen für den, der die Bildsprache lesen kann. Um Bildsprache zu lesen, muß der Betrachter sich allein auf die Anschauung einstellen, nicht wie es allgemein noch üblich ist auf Gegenstände, Anekdoten, Gefühle, Stimmungen, die er erwartet, die sich – (wie der Ton der Flugzeugmotoren nicht der Zweck der Motoren ist) nebenbei einstellen. Anschauung heißt sehen, was es zu sehen gibt, nichts anderes.

Erst aus diesem anschauenden Sehen kann man [das] Bild sehen – jeder, jeder. Die Entwicklung der modernen Kunst ist eine fortlaufende Folge von diesen Fakten. Courbet ging ans Ufer der Seine, legte dort ein Mädchen hin und malte es dort. Also er ging nach draußen. Die Impressionisten malten dieses Draußen. Dann malte Cézanne die kubische Struktur der Fläche; die Kubisten malten den Kubus. Mondrian malte außer der Harmonie des Universums, die ersten Zahlenbilder, nachdem Klee wirkliche Zahlen auf die Leinwand gesetzt hatte. Das Zahlenbild wurde für mich System, fast kabbalistisches System, und setzte anstelle der Geometrie und des Kubus die Arithmetik der Zahl und den Rhythmus ebenfalls als Zahl: als Bildgestalt. Die ganze moderne Kunst existiert aus der Transparenz. Ich male nun diese Transparenz selbst – die Diaphanie. So erfindet der eine im Bild einen neuen Wert, der nächste malt diesen Wert als Wert selbst.

Dazu entstehen Werte, die überhaupt mit neuen Vorstellungen von Bild und Sinn vorangehen, vor allem – Kandinsky.

Erniedrigungen allein treiben die Kunst weiter. Und ich – ohne daß dies psychoanalytisch brauchbar wäre – schätze Erniedrigungen. Die Erniedrigten und Beleidigten interessieren mich und ich helfe ihnen nicht, denn sie haben etwas voraus. Selbst wenn sie es nicht verstehen und nicht für sich zu nutzen verstehen. Ich verberge diese Sucht nach Erniedrigung vor der Öffentlichkeit, sie ist ein Antrieb für mich, und die Öffentlichkeit würde das nicht verstehen oder als Masochismus auslegen. Doch schwankt mein Ich schillernd zwischen Ja und Nein zu sich selbst. Und das Nein überwiegt meist, das treibt an. Will ich doch nichts – will ich doch nichts – keine Weltverbesserung, keine Drohung moralischer, ethischer, idealistischer Art, sondern sein, wie ich bin und malen, wie das ›ich bin‹ aus mir heraus sich von mir frei macht. Denn ich lebe im Ganzen, aus allen Poren, nichts an mir hat die Überhand.

Die Welt – vor Übersättigung – hat Angst vor der Kunst, und daher gibt sie sich oft der ›Unkunst‹ hin, der Antikunst, die heute ein starkes Argument gegen sich hat, daß sie zum zweiten Mal auftritt, eklektisch ist.

Über den Autor

von E.W.Nay