um 1965

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Aufzeichnung um 1965

Künstler und Umwelt

Der Künstler ist ein Mensch, der begabt ist, etwas zu machen, was es noch nie gab. Denn nur das ist Kunst, was in der Kunst noch nie da war.

In der Verbindung mit der Gesellschaft ist, da die Gesellschaft Forderungen stellt, eine solche Existenz undenkbar. Die Gesellschaft stellt Aufgaben unter den ihr bekannten Voraussetzungen. Sie inspiriert also nicht. Man kann also von einer Aufgabe des Künstlers in der Gesellschaft nicht sprechen. Denn er muß sich ja im Sinne der Gesellschaft aufgeben und das geschieht für ihn zwangsläufig.

Die heutige Gesellschaft ist bürgerlich, lebt von fixierten, eigentlich frustrierten Vorstellungen, wie Religionen, Humanismus, den drei Säulen des sogenannten Abendlandes: der griechischen Antike, dem römischen Recht, dem Christentum. Nichts davon ist in der Kunst der Gegenwart spürbar oder sichtbar. Was aber der Künstler macht, ist die Beantwortung immer derselben Frage. Er arbeitet in der Richtung der Übereinstimmung von Realität und Wirklichkeit. Realität ist das allgemein Sichtbare, Wirklichkeit die geistige Formulierung – nicht der Realität – sondern des zur Zeit existenten Menschen.

Kunst ist die formale Anschauung. Das äußere Reale ist seit Einstein nicht faßbar. Daher der Künstler ein unabhängiges Formenspiel treibt, in der Idee, Wirklichkeit sichtbar zu machen. Die Qualität des Formenspiels hängt von der Höhe artistischer Einsicht ab.

Über den Autor

von E.W.Nay