Entwurf einer Rede
Wenn man sagen will, es gibt keine Kunst mehr, so möchte ich fragen, welche Kunst es nicht mehr gibt.
Man sagt, weil die Kunst sich in einzelnste Individuen zersplitterte! Worauf beruhte alle moderne Kunst, die nun vorbei sein soll? Alle Kunst, meine Damen und Herren, alle Kunst der Moderne – bis auf Klee und Kandinsky – kommt von Cézanne. Auch Mondrian. Diese Wirkung Cézannes ist – ohne daß damit im geringsten die Kunst, das Genie Cézannes, in Frage gestellt ist – erloschen.
Sehen Sie Picasso, den Kubismus, Braque, die Expressionisten an, alles Kunst hergeleitet in der Formensprache von Cézanne. Dieser riesige Einfluß bröckelte ab, und die Antikunst ist das letzte Ergebnis des geschwundenen Einflusses von Cézanne.
Schon einmal in den 20er Jahren brach die Antikunst ein – mit Naturalismen natürlich. – Was sollte sonst Antikunst sein? Naturalismen der verlorenen Objekte, der Lichtspiele, der Kinetik. Wer würde denken, daß in dieser Situation weder der Zeichner noch der Designer, noch der Phantasmagorist die Wendung brächte, sondern der Maler, der Farbensetzer, statt der Architektur Cézannes die Fläche von Henri Matisse. Matisse als Parole? Nicht anders, als würde man bei Picasso von der Parole Cézanne sprechen. Also nicht Parole, sondern Prinzip.
Schon tönt es, daß Matisse der tiefere Künstler sei im Vergleich zu Picasso. Die algerischen Frauen, die sogenannten Odalisken, die eleganten Damen? Die Periode der algerischen Frauen ist seine schwächste, die letzten, farbigen Collagen das Großartigste. Die Farbe als Fläche, die Fläche als Farbe! –
Ich weiß, daß es heute in diesem Sinne nur zwei Maler der Farbe gibt. Sam Francis und Nay. Sam Francis – der emotionelle, Nay der kompliziert europäische, die Fläche als Farbe, die Farbe als Fläche.
Da soll noch etwas für die Zukunft drinstecken? Nun gut, nur dies von Matisse: die Parole: Farbe als Fläche, Fläche als Farbe. Nichts anderes. Nicht das, was da verwandelt wurde, die Impression, der perspektivische Raum, verwandelt in die Arabeske. Aber die Arabeske, das Ornament selbst, das farbige Ornament, die farbige Arabeske als Fläche ohne Anverwandlung einer Illusion.
Fläche als Farbe ist ein Riesenproblem, man weiß, wie wenig Kandinsky da erreichte, wie oft Klee strauchelte – besonders bei Gelb. Das Problem ist also nicht die Fläche als Plakat, als Materie, sondern die Fläche als illusionslose Ebene, verwandelt durch die Farbe in ein geistiges Ereignis. Und gerade das Gegenteil ist die Tendenz der Antikunst: der alte Renaissanceillusionismus, Vexierspiele, Zaubergärten – Reste des äußersten Manierismus, der Manierismus auf die Spitze getrieben. Gegen das wundersame oder rationale sich Vexieren [steht] nunmehr der Begriff der Ortung in einem Raum, der, da die Darstellung der drei Dimensionen naturalistisch wurde und so ihren Gestaltsinn verlor, nur zwei Dimensionen hat, wo er doch nicht mehr drei, auch nicht vier, sondern unendlich viele unbekannte Dimensionen habend nicht mehr faßbar sein kann, sich der Vorstellung ganz entzieht. Hier auch ist die Grenze der Vorstellung von Urformen, Vorformen oder Ganzheitsformen (Goethes Urpflanze). Symbolformen also werden nunmehr beliebig auslegbar sein, die Fläche aber ist existent zu machen.
Das, was Sie hier sehen, ist die endliche Reinschrift aller der Bemühungen um die farbige Fläche, mit Hilfe von Choreographie, Rhythmik, Ortung und anderem. Eine Akademie habe ich nicht daraus gemacht. Jedes Bild hat außer der Innehaltung der Fläche alle Offenheit für alle Maximen.
Noch einmal die Frage: Da soll also noch etwas für die Zukunft drinstecken? Die Kunst verbündet sich nicht wie die Antikunst mit den materiellen Ereignissen, auch nicht mit deren Auslegungen in der modernen Physik oder den Ereignissen der modernen Mathematik, jenem manipulierenden Spiel der Verdichtung. Ohne Perspektive, ohne Logik – man sehe in diesen Arbeiten den oft auftretenden Hiatus, das direkte Nebeneinander als Unmögliches. Akausal, nicht einmal gegensätzlich, sondern fremd neben fremd. Das – so sieht man wohl – macht nur die Fläche als Fläche möglich, die Fläche als farbige Fläche möglich und sichtbar. Die Grauaquarelle sind teils eine Sichtbarmachung des Prozesses einer Entstehung, teils entsprechen sie dem Satz Fläche als Farbe, Farbe als Fläche durch die genaue Proportion von Positiv- und Negativflächen. Eine Findung, die mir interessant genug war.
Gegenständlich also gar nicht, artistisch also gar nicht. Direkt liegen das Artistische und das Menschliche beieinander, das eine ist das andere, das andere ist das eine – gefunden zur existenten Fläche. Denn Fläche steht hier existent, also als Wirklichkeit – durch die löcherlose Setzung der Farbe in manipulierten Formen.
Ich bin sicher, mit diesen Bildern Wirklichkeit heute erfahrbar zu machen. Wirklichkeit aber ist der ganze Witz der Kunst.