Februar 1962

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Vorüberlegungen zur obigen Antwort
auf die Frage Eduard Triers

In den verpappten Stil, der sich in Westdeutschland entwickelt hat, hineinzusprechen, ist eine undankbare Sache. Es ist ziemlich einfach festzustellen, warum. Das böse Erlebnis der letzten Mythisierung der Deutschen führte dazu, daß der Deutsche einerseits nicht weiß, ob er national oder a-national ist, also mit dieser Weltfrage nicht zurechtkommt, zum anderen versuchen verschiedene Kräfte diese Schwäche für sich auszunutzen. In diesen Wirrwarr hineinsprechen allerdings ist – zum mindesten für einen Maler – schwieriger als Anschauung geben. Anschauung ist das Wort für die gegenstandslose Malerei seit Kandinsky. Anschauung ist, seit die Naturwissenschaften die Natur begrifflich erfahren, Anschauung der einen Seite des Menschen, der psychischen, geworden. Die Wissenschaft trennte Anschauung und Begriff, somit Natur und Mensch. Freud erkannte den psychischen Menschen. Der mythoslose Mensch heutiger Zeit fügte östliche Weltschau hinzu – das ist die erste Phase der gegenstandslosen Malerei!

Viele ahnen, daß diese Phase zu Ende ist. Ohne Mythos, ohne den kosmogonen Idealismus der deutschen Romantik bei uns – ohne Cartesianismus bei den Franzosen – ist Anschauung und Begriff im Gegenstand nicht zu vereinen. Die gegenständliche Malerei ist zu Ende. Einige schlaue Menschen glauben ein Vexierspiel von anschauendem Formbild und Gegenstand anbringen zu können. Man sieht, daß das ein billiger Synkretismus ist.

Ich muß hier einfügen, daß ich seit 1954 einige Ausdrücke benutze, wie Gestaltfarbe, Satztechnik, Veranstaltung und andere, die seitdem von jedem für alles und jedes angewandt werden. So wird es auch mit der Scheibe sein, die ich 1954 in einer bisher nicht benutzten Art, nämlich artistisch – kosmogonisch einsetzte. Ich wurde dafür von den Experten meines Landes, nicht aber von meinen Landsleuten ausgelacht, Biennale 1956. Aber jetzt malen einige Künstler mit dieser artistischen Scheibe, doch verwenden sie sie im Sinne der ersten Phase der gegenstandslosen Malerei – also psychisch, als Anschauung psychischen Wertes. Von Anfang an, von 1954 also, aber kam ich mit der Scheibe als Anschauung auch des kosmogonischen Wertes. Das erkennen heute viele – im Ausland ebenso wie hier. Es war der Anfang einer neuen Kunst, die in die Anschauung den Begriff, also Natur der heutigen Erkenntnis, hineinnimmt. Natur, Begriff also ist in Anschauung verwandelt. Das ist die zweite Phase der gegenstandslosen Malerei. Sie bedeutet, den ganzen Menschen sehen, den Menschen als Universum, als Seele und Natur zugleich. Freud stand bei der ersten Phase Pate, bei der zweiten sind es Freud und Einstein.

Ein Künstler wird eine allgemeine Frage schießlich doch pro domo beantworten. Es ist die natürliche Art des Künstlers, dessen Lebensrisiko es ist, die Welt zu sehen, wie er sie sieht. Die Frage fordert zum Bekenntnis auf.

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von E.W.Nay