um 1962/63

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Aufzeichnung um 1962/63

Können Bilder, die nichts als Bildnerisches vorweisen, Bildmythen genannt werden? Unter Bildmythen seien Bilder zu verstehen, die aus der Bildform, aus den Formen und Farben des Bildes – auf der Grundlage der absoluten Malerei – als absolute Form und Farbsetzung zu Vorstellungen inspirieren, eigentlich zu Verdichtungen von Vorstellungen, solchen Vorstellungen, die sich unserer Einsicht und unserer Identifizierung mit ihnen auf weitere Sicht noch entziehen. Es ist keine Statik denkbar, die auf die eine Seite den menschlichen Charakter, auf die andere das Unbekannte stellt. Im Gegenteil, diese Polarität existiert nicht. Wir erfahren durch Bilder nicht das, was wir nicht kennen und nicht kennen können, wir erfahren letzthin Inspirationen unseres Seins – heute und jetzt.

Die absolute Malerei ist eine Eroberung unserer Zeit und durch nichts zu vernichten. Die absolute Malerei als Ausdruck der Selbstverwirklichung des modernen Menschen, mit ihr verbunden kosmische Elemente in der Symbolform der Scheibe und dazu Engramme, unbewußt entstandene Signete. Inspirieren vielleicht den Menschen Ahnungen davon, wie etwa sein Weltentwurf heute aussähe? Die absolute Malerei als Ausdruck bindungsloser, unbändiger Freiheit des Menschen, Freiheit zur Selbstverwirklichung, das ist eine der epochalen Eroberungen der Gegenwart. Wir dürfen sie nicht wieder der chimärischen Welt des Gegenstandes, dessen Bedeutung uns heute nicht gegenwärtig ist, unterwerfen. Einen Baum sehen, nicht wie ihn die Welt vor tausend Jahren sah, sondern ihn sehen, wie er jetzt als Realität in den Relationen erkannt werden kann. Dann ist er nicht erkennbar. Es fehlen die Verdichtungen, die Mythen, die ihn sichtbar machen, wenn wir unter Sichtbarmachen nicht die einfache materielle Optik verstehen, auch nicht das Sehen aus Konventionen heraus, aus religiösen, idealistischen Konventionen. Die sind alle aufgesogen im Individualismus, entbehren der gemeinsamen Erfahrung. In der Absicht eines Malers kann nichts anderes liegen, als zu malen.

Über den Autor

von E.W.Nay