15.12.1961

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Aufzeichnung vom 15.12.1961

Seit ich die ersten Einsichten in die Gestaltungsformen der Malerei gewann, seit ich, später dann, eine eigene Gestaltung entwickelte, ist es mein Schicksal, an die Malerei zu glauben. Gleich allerdings meinte ich nicht die Schönmalerei, das ›Malerische‹, das den Ausdruck verwässert. Gleich meinte ich die Gestaltung mit den Mitteln, den optisch, geistigen Mitteln der Farbe und mit der Idee einer Gültigkeit des entwickelten Gestaltungsprinzips. Ich blieb diesem Glauben an eine Malerei treu und halte meine Auffassung für revolutionärer als die Abkehr von der Malerei, die vor etwa 30 Jahren die Surrealisten propagierten und der heute noch gefolgt wird. Aber das Ende dieser Ziele ist gekommen. Und die Abkehr ist nicht mehr revolutionär. Revolutionär aber ist es, jetzt zu sagen, daß der Mensch heute, heute, heute ist, daß er weder vom Höhlenmenschen noch von irgendeiner Epoche angeregt werden kann. – Dies noch immer wirkende Zeichen des 19. Jahrhunderts, dies Epigonentum, dies Alexandrinertum: schneid dir’s aus dem Leibe, etwas anderes gibt es nicht! Nicht der leiseste Hauch von Surrealismus hat meine Idee verdorben, und so auch keine Romantik sie entstellt. Auf der anderen Seite rettete mich meine Natur vor der Akademie, dem toten Konzept, der Ateliermalerei.

Das Poetische im Gegensatz zur technisch-naturwissenschaftlichen Welt ist noch nicht die Malerei, die geistige Malerei. In seltsamer Weise kann der Künstler den Gegensatz in sich aufheben, und es entsteht Kunst heute.

Über den Autor

von E.W.Nay