Aufzeichnung vom 19.8.1961
Im Optischen eine perfekte Realität – das ist die Gestaltfarbe. Sie ist in ihrem Grunde dem Absoluten Ton, dem Ton ohne Relation, vergleichbar. Sie entfaltet sich daher nicht mit der Kausalität der Symphoniefarbe, also der Farbe in der Relation, in bestimmter Relation, sondern in einer Satztechnik, deren Sätze in Serie und Reihe gebaut sind. Da ein solcher Vorgang sich optisch vollzieht, ist er auf einer Fläche konkret nicht darstellbar – etwa daß die Scheiben nebeneinander einen solchen Satz auf der Fläche abgeben. Dennoch geben die Serien und Reihen den Farben ein optisches Gerüst.
Anders als in der Musik ist eine Farbe nicht eine einzelne, ganz einzeln vorhandene, wie ein Ton unter vielen Tönen, ein einzeln vorhandener Ton ist, sondern es gibt nur fünf Grundfarben, Rot, Gelb, Blau, Schwarz und Weiß. Alles andere ist Mischung, Variation, Kombination. Für die Satztechnik der Farbserie gibt es daher kein generelles System, sondern jeweils wird die Reihe willkürlich zusammengestellt, die Serie ebenfalls. Dennoch ist die Satztechnik aus der Gestaltfarbe ein System, auf dem ein farbiges Bild außerhalb der Symphoniefarbe entstehen kann. Das kinetische Bild, das Farben und Formen real bewegende Bild, erreicht das nicht. Das kinetische Bild als Farbbild hat das gleiche Schema wie das Symphoniefarbenbild. Kommen auch eine Reihe von Farben zu immer anderen, im Ablauf anderen Kombinationen, so bleiben doch die Farben dieselben. Ebenso ihre Variationen, auch ihre scheinbar jeweils zufälligen Mischungen, bleiben dieselben, nicht aber entstehen immer ganz neue, im Ablauf nicht dagewesene Farben. Das aber wäre erst ein kinetisches Bild. Die Realisation hat also nur als Bewegung stattgefunden, die Farbe wurde in dieser Bewegung nicht realisiert, sondern blieb Symphoniefarbe. So hat sich der Kreis insofern erst einmal geschlossen, als festzustellen ist, daß die Farbe bei allen künstlerischen Erfindungen unserer Zeit keine grundsätzliche Veränderung erlebt hat. Die Auffassung von der Farbe als Symphoniefarbe hat sich also bisher erhalten.
Eine Definition allein steht noch zur Diskussion, die der Gestaltfarbe. Sie realisiert nicht die Natur, sie steht nicht für Empfindungen, sondern sie ist im Optischen eine perfekte Realität. Mit der Gestaltfarbe tritt das Bewußte erneut in das Künstlerische ein. Diese Gestaltfarbe, die verbunden mit der Scheibe als Fläche in Erscheinung tritt, entzündet aus sich das Unbewußte. Sie entläßt in der Gestaltung das Unbewußte, das, nunmehr mit dem Bildnerischen verbunden, das Magisch-Geistige hervortreten läßt. Um dieser Identität des Bewußten mit der magischen Geistigkeit willen entstand in den letzten Bildern die über die Satztechnik hinweg frei erfundene Farbe, vom Geistigen, vom Magischen und vom Bewußten entfacht.