Antwort vom 27.9.1961
Redaktion ›Die Zeit‹ an Nay, Hamburg, 28.8.1961
[…] vor ein paar Monaten haben wir in unserem Kulturteil mit einer neuen umfangreichen Serie begonnen. Sie heißt ›Mein Bild‹ […] Wir wollen […] von Ihnen nicht wissen, welches Bild Sie loben, sondern mit welchem Sie leben und welches Sie lieben. […]
Die Liebe zu Bildern kann ich nicht anders als in Verbindung mit der Erkenntnis erfahren.
Eine einfachere Übereinstimmung von Liebe und Erkenntnis geben mir Plastiken. Die Bilder sind Scheinwelt, viel zu kompliziert, um meine Empfindungen ihnen gegenüber zu deuten. Die Kykladenplastiken und die Plastiken von Brancusi – zwischen beiden ein Zeitraum von 4000 Jahren – liebe ich vor allem, weil in beiden Magie und Bewußtheit zugleich als geschlossene Gestaltung auftreten. Das Magische als das Primitive, Ausdruckshafte und das Bewußte als das im künstlerischen Intellekt Geformte und als Realität in Marmor oder Metall. Meine Zuneigung zu diesen Plastiken kommt daher, daß ich diese Konstellation als die in der Gegenwart gegenwärtigste ansehe – und weil dasselbe für die Bilder, die Scheinwelt sind, in unglaublich geistiger Unabhängigkeit gleichfalls gilt.