31.10.1961

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Aufzeichnung vom 31.10.1961

Seit 1924 male ich, das sind 36 Jahre. Die Anfänge, die ungewußten, die im Zusammenstoß mit den Fragen der Malerei erloschen, traten ganz langsam wieder in Erscheinung und nahmen im Jahre 1936 erstmalig wieder Form an, 1943 erneut – in den Hekate-Bildern. Erst 1953 wurde ich ganz systematisch und versuchte mit den Scheiben eine Theorie der Malerei, eine Theorie als Grundlage für Kunst, zu entwickeln. Nach weiteren Jahren mußte diese Theorie als eine nur in meinem Atelier anwendbare, als eine subjektive erkannt werden. Nachdem ich alle ihre Äußerungsmöglichkeiten durchgangen hatte. Die Theorie der Farbenpotenzen und Farbenrhythmen und Serien zur Fläche, die Untersuchung über die dabei zustande kommenden Illusionswerte der Fläche, konnte sich nur auf wenige Grundbegriffe zurückgedämmt festhalten lassen. Ich trieb tief hinein in das ästhetische Prinzip, bis es nichts mehr hergab. Ich mußte es darauf ankommen lassen. Ich stand zuweilen dicht vor einer modernen Akademie der Malerei. Doch die Ästhetik wandelte sich diesen Sommer 1961 in das Schicksalhafte, Ethische um. Was mir vorschwebte, kam, obwohl der Erscheinungscharakter mir gänzlich unbekannt war, heraus: Allein aus dem Ästhetischen der neu gefundenen Ästhetik heraus erschien das Humane – Schicksal! Ich übernahm kein von anderen Künstlern entwickeltes Prinzip, um das Innerste zu zeigen. Ich entwarf ein eigenes Prinzip und suchte es ab nach allen Seiten in großer Hoffnung auf eine Eröffnung, die entweder kommen mußte, oder die ganze Sache war umsonst. Dieses Entweder –Oder, das ist und war mein Leben. Ich pflanzte nicht auf einem übernommenen Prinzip eine eigene Romantik, einen Gefühlsrausch, eine larmoyante Idee auf, um das Humane zu entdecken, das ja nur gilt, soweit es neu entdeckt ist, sondern ich trieb es solange mit den Versuchen um die Kenntnis einer Theorie und die Kenntnis der Reichweite einer solchen, bis das Formale, das Ästhetische, sich so gesintert hatte, so geklärt war im ewigen Sieben, daß der Kern, der nicht zerstört wurde trotz aller Bohrhämmer, mein Kern, das was ich allein zu sagen hatte, herauskam. Denn alles, was zu sagen ist, muß im Ästhetischen, in der Form sich aussagen, nicht durch ein Zubehör. Die so notwendige Verunsäuberung der Form geschieht in der Form, im Ästhetischen selbst, nicht außer dem Bild [außerhalb des Bildes].

Über den Autor

von E.W.Nay