Referatstext für eine Tagung der Akademie der Künste Berlin
am 1.und 2. Oktober 1961 in der Villa Hügel in Essen
In diesem Referat bietet es sich an, das Grundsätzliche der Beziehung von Bildender Kunst und Architektur zu skizzieren, Definitionen anzusetzen, verbunden mit dem Versuch, zu den Symptomen Stellung zu nehmen. Es ist verständlich, wenn man sich wieder einmal mit der Frage ›Kunst und Öffentlichkeit‹ auseinandersetzt, wie es im Wesentlichen diese Referate tun, zumal jetzt in einem Zeitpunkt, an dem viele sich darüber klar sind, daß sich einschneidende Strukturwandlungen feststellen lassen. Wenn der bildende Künstler isolierter als bisher zu sein scheint, so könnte man auf der anderen Seite hinzufügen, daß die Gemeinschaft der Menschen aus der Form der Versammlung von Individualisten sich in eine Art von kollektiver Demokratie, einer Demokratie von Gruppen verwandelt habe.
Wenn nun dann ein Kunstwerk öffentlich und am festen Platze, öffentlich im täglichen Leben vielfältigster Form, in und an Bauten jeglicher Art und auf Plätzen der Städte steht, darf jeder und soll es ja auch, seine Zustimmung oder Ablehnung äußern. Der Platz der Öffentlichkeit ist ein aggressiver Platz – zu Recht. Diese Zustimmung oder Ablehnung wird von Tag zu Tag bei allen Menschen auch in Westdeutschland und Berlin gekonnter und wissender hervorgerufen, vor allem dadurch, daß der gegenwärtige Mensch im täglichen Leben mehr als zu anderen Zeiten vom Auge her engagiert ist. Auch, daß die Kunst eine Angelegenheit aller sei, ist ins allgemeine Bewußtsein gedrungen, zugleich darf man auch die in der Strukturwandlung sich zeigende Auflösung der Schichten dafür in Anspruch nehmen.
Der ideale Fall der Verbindung von bildender Kunst und Architektur setzt allerdings als Selbstverständlichkeit voraus, daß auf beiden Seiten, der des Architekten wie der des bildenden Künstlers, die Niveau-Gleichheit darin bestünde, daß man gegenseitig überzeugt ist, sich der eindeutigsten Intensität der Gegenwart verbunden zu wissen. Ein Kunstwerk, sei es eines der bildenden Kunst oder der Architektur, kann im Zeitpunkt des Entstehens nur ein gegenwärtiges sein. Bisher erledigte Formsprachen anderer Zeiten können nicht wieder zum Kunstwerk gerinnen. Nun, dabei ist das Feld ungemein vielfältig. In der bildenden Kunst ist von der absoluten Formsprache bis zu absoluten Aussage eine unerhörte Fülle von Möglichkeiten offen. Die absolute Formsprache scheint sich zuweilen dem Architekturalen zu nähern, die absolute Aussage scheint sich zuweilen vollkommen abzusondern. Dies sind die beiden grundsätzlichen Formen, denen sich wiederum neue Möglichkeiten anschließen.
Was nun die Architektur betrifft, so scheint mir sich nunmehr der eigentliche technische Funktionalismus mit einer frei gesetzten Poetik des architekturalen Bildwerks zu verbinden.
Wie kann man sich nun eine glückliche Beziehung der bildenden Kunst zur Architektur vorstellen? Und ebenso der Architektur zur bildenden Kunst. An ein Gesamtkunstwerk sollte dabei wohl nicht gedacht werden, eben weil man heute sehr gut weiß, daß die Wünsche an ein Gesamtkunstwerk im 19. Jahrhundert Schiffbruch erlitten haben. Man überforderte alle Teile. Auch wäre zu bedenken, daß ein Bild oder eine Plastik, ein Kunstwerk also, ein Wesen ist, das in einer Art Atmung aus sich Raum entwickelt und spürbar macht. Einen eigenen Raum, dem sich der Raum, in den es zu stehen kommt, fügt. Oder sollte das Kunstwerk den doch eigentlich für es zufällig vorhandenen Raum gestaltend spürbar machen, ihn ausformen? Kaum wird heute ein Architekt das Werk der bildenden Kunst von vorn herein in seinen Plan einbeziehen. Fast ausschließlich wird der Plan, ein Kunstwerk aufzustellen, erst am Ende eines Bauvorhabens akut werden. Also ist es richtig, die autonome Stellung des Kunstwerks innerhalb der Architektur, ohne Abstimmung mit ihr, anzuerkennen und von da her die Verbindung mit der Architektur zu suchen. Die einzige Einschränkung der Unabhängigkeit, die es dabei gäbe, wäre dann durch die äußeren Maße des Kunstwerks gegeben. Die Verbindung im Idealfalle wäre also nicht bei den vielfachen möglichen dekorativen Annäherungen zu suchen, sondern darin, daß man jedem Werk, dem der Architektur wie dem der Plastik oder der Malerei, seine eindeutige Autonomie zugesteht. Haben wir nun also jene Intensität der Gegenwart als das Moment erkannt, das den Schnittpunkt anbietet, in dem sich die Architektur mit der bildenden Kunst als ein gemeinsamer geistig vitaler Prozeß der Gegenwart vollzieht, so sollte man diesen Begriff »Intensität der Gegenwart«, wenn man ihn als Formausdruck nunmehr verstehen will, als das poetische Element definieren, das zu einem organischen Zusammenklang auffordert. Es sind also weder die Stilformen der Architektur noch die Stilformen der bildenden Kunst, die die Verbindung herstellen. Dieses poetische Element also wäre der Schnittpunkt und die Möglichkeit einer Verbindung, die Möglichkeit eines wahrhaften Kontaktes. Was das ist, das poetische Element? Das ist jener Überstieg, in dem sich die in der Architektur wie in der bildenden Kunst nicht von der Hand zu weisenden Funktionalismen, die uns auf den Weg brachten, verwandeln.
Es wurde also an Grundsätzlichem ermittelt: nach einer Strukturandeutung die Betonung der gegenseitigen Selbständigkeit von Architektur und bildender Kunst, das betonte Erhalten dieser Selbständigkeiten, Abkehr von der Idee des Gesamtkunstwerks. Als tertium comperationis nicht der Stil, sondern das poetische Element.
Diese kleine Gedankenreihe steht deutlich entfernt von praktischer Nutzbarmachung, ein wenig bemüht, weiteren Erwägungen eine Basis zu bieten.