ArchivAugust 2023

um 1962/63

Aufzeichnung um 1962/63

Können Bilder, die nichts als Bildnerisches vorweisen, Bildmythen genannt werden? Unter Bildmythen seien Bilder zu verstehen, die aus der Bildform, aus den Formen und Farben des Bildes – auf der Grundlage der absoluten Malerei – als absolute Form und Farbsetzung zu Vorstellungen inspirieren, eigentlich zu Verdichtungen von Vorstellungen, solchen Vorstellungen, die sich unserer Einsicht und unserer Identifizierung mit ihnen auf weitere Sicht noch entziehen. [...]

6.2.1963

Aus einem Brief an Werner Haftmann

[...] Sie werden von Ihrem Skandinavientrip zurück sein [...]. Von dort oben kommt ja immer wieder der Wortreichtum, die Redseligkeit der Kunst, während hier – trotz mancher Bemühung, den Surrealismus als neuen Symbolismus wieder aufzuzäumen – die bildende Gestaltung endlich wortlos wurde, wortlos bis zum Exzeß des ›Gedankenlosen‹, das heißt von Wort und Gedanken fern, lediglich vom optischen Sensorium aufnehmbar, alles nur erdenklich Menschliche mitteilend. [...]

3.3.1963

Aufzeichnung vom 3.3.1963

Man könnte etwa sagen, daß meine Kunst eine neue Objektivation angenommen hat und aussagt. Indem ich nicht leugnen kann, daß die moderne Naturwissenschaft das objektive oder irgendwie annähernd objektive Teilbild des Universums (in Ausklammerung des Menschen) bedeutend und grundlegend verändert hat, ergibt sich hier die Folge, mich, den Menschen, mit jener objektiven Feststellung zu verbinden und so den Begriff Universum neu zu stellen. [...]

28.4.1963

Aus einem Brief an Adolf Arndt

[...] Ich bin jener Adorno-Diskussion zu Schönbergs Moses u. Aaron ferngeblieben. »Gott ist ein Gedanke« – läßt Schönberg Moses sagen, das ist eine ganz neugesetzte Möglichkeit, in der sich alle, die – wie man so tot sagt – guten Willens sind, unter Aufgabe von Einzelheiten eines Tages – eines sehr fernen Tages – finden werden. [...]

Juni 1963

Aufzeichnung von Juni 1963

Unbefangen malen und nicht wie ein Tier schreien. Reflexionen stellen sich als Hindernisse ein, die den Widerstand geben, den der Maler zum Malen braucht.

Die absolute Malerei ist eine Eroberung unserer Zeit, die durch keine Macht der Welt vernichtet werden kann. Sie ist das letzthin einzige Ausdrucksmittel des heutigen und zukünftigen Malers, das die Möglichkeit zu reflexionslosen Aussagen gibt. [...]

10.7.1963

Aufzeichnung vom 10.7.1963

Die absolute Malerei – die im Gegensatz zur abstrakten Malerei steht, die die Geläufigkeit in Kunst umzuwandeln sucht – die absolute Malerei ist eine Erfindung unseres Jahrhunderts – eine Erfindung zur Selbstverwirklichung des Menschen, eine Erfindung so stark und einflußreich wie die Atomzertrümmerung, wie die Elektronik und die mit ihr folgende Kybernetik, wie die Vorstellungen vom Universum – die uns die gegenwärtigen Naturwissenschaftler vorführen. [...]

11.7.1963

Aufzeichnung vom 11.7.1963

Zu leben, ohne zu verstehen, in welcher Welt man lebt, so leben wir Heutigen. Verbrauchte Vorstellungen, verbrauchte Mythen, es gibt da keine Illusionen mehr. Der am alten festhängt, macht sie sich dennoch, das Ergebnis – die Verwirrung – schreibt er anderen zu. Das sind alte Klagen. [...]

18.7.1963

Aufzeichnung vom 18.7.1963

Wann also leben wir?

Im technischen Zeitalter, wie es die deutschen Zeitungen verkünden? Im neotechnischen Zeitalter, wie es die amerikanischen Zeitungen verkünden? Oder zeigt das Ende des Manierismus, daß wir beginnen, im universalen Zeitalter zu leben?

Wer wir? [...]

24.7.1963

Aufzeichnung vom 24.7.1963

Seit 1954 male ich mit den chromatischen Scheiben. Das hatte den Sinn, eine Satztechnik der Malerei zu finden, eine gesetzhafte Methode, die Malerei der Farbe etwa so zu ordnen, wie die Setzung der Töne in der Musik, sei es der alten oder der neuen. Tatsächlich entstand eine Ähnlichkeit zur seriellen Tonsetzung. [...]

Juli 1963

Aufzeichnung von Juli 1963

Die Technik, die alte Technik, mit Rädern, Lederbändern, photographischen Tricks, Elektrizität, in die Kunst zu bringen, ist heute antiquiert. Die Neotechnik, die Elektronik, die Kybernetik und die Atomzertrümmerung lassen sich nicht in die Kunst einfügen. So ist das Ende dieser freundlichen Bemühungen, auf solche Weise Gegenwart zu formulieren, gekommen. [...]