ArchivAugust 2023

1964

Interview im Fernsehfilm ›E. W. Nay‹
Bayerischer Rundfunk, München 1964

Frage: Kümmert Sie eigentlich, ob das Publikum, ob die Leute verstehen, was Sie malen?

[...] es ist einfach ganz eindeutig, daß ein Publikum in Deutschland, in Westdeutschland, in Ostdeutschland und in der Welt interessiert ist, was die Künstler machen. Denn was die Künstler machen heute, ich oder andere, das ist eine merkwürdige Sache. [...]

Januar 1965

Beitrag zum Katalog der Ausstellung ›E. W. Nay – Gemälde 1955-1964‹
Frankfurter Kunstverein Steinernes Haus, Frankfurt
9. Januar – 14 Februar 1965

Über das Gegenbild

Die heutigen westdeutschen poetisch befähigten Schriftsteller beschäftigen sich außer mit Gedicht, Roman und Erzählung nur mit der Tagesgegenwart, während die Grundprobleme unserer Zeit in unserem Lande nicht über die wissenschaftliche Umzäunung hinauskommen, also nicht extrapoliert werden, wie es seit dem Kriegsende in allen Kulturländern der Fall ist. [...]

2.3.1965

Aus dem Antwortbrief an Doris Schmidt

In einem Brief vom 1.3.1965 an Nay hatte sich die Kunstkritikerin und Autorin Doris Schmidt an dem Wörtchen »sondern« im letzten Satz des Textes ›Über das Gegenbild‹ gestört (s.o.). Hier Nays Antwort:

[...] Das »sondern« war nicht so dumm, aber ich lasse mit mir reden. Es handelt sich dabei um drei unabhängige Bemerkungen:

1. Das idealistische Denken trennt Geist und Natur

2. Das materialistische Denken setzt Intellekt und Natur gleich

3. Das der Gegenwart entsprechende Denken verbindet Geist und naturwissenschaftlich eruiertes Denken. [...]

5.6.1965

Aus einem Brief an Erich Meyer

[...] die Arbeit hat sich eine neue Stufe erobert, eine sehr riskante, indem die Mittel reduziert wurden, Formmittel früherer Phasen (Lofoten, Hekate) eingesetzt wurden zu den Scheiben und die Bilder sind faszinierender und hauchen den Atem des Menschen aus. Sie haben den Ruch von Menschen ohne jede gegenständliche Assoziation. Nicht, weil sie vom Menschen gemacht, erfunden sind, sondern merkwürdig anders von sich aus und durch Setzen von Formen, die logisch nicht dazu gehören können. [...]

Juni 1965

Auf der Insel Kreta entstandene Niederschrift

Immer ging ich seit 1950 davon aus »Dilettant meiner selbst zu sein« – ein Wort von mir aus jenem Jahr – also allgemeine Gültigkeit von Formulierungen des Malens zu negieren und eine eigene zu entwickeln. Es entstand die Möglichkeit, mit fertigen Scheiben in ihrer Kongruenz zur Fläche bildnerisch farbige Postulate für mich zu finden, die keine Ähnlichkeit mit bisher bestehenden Postulaten hatten. Scheiben gab es, aber diese waren physikalisch – chromatisch im Sinne einer physikalischen Farbenlehre gesetzt (Delaunay). [...]

1965

Aufzeichnung von 1965

Aus dem deutschen Eigenbrötler, von dem Paul Westheim 1925 schrieb, ist ein globaler Einzelgänger geworden. Und dies in 40 Jahren – von vielen persönlichen und kollektiven Schlägen begleitet.

Die Farbe war es, die diesen Weg so lange hinzog, denn für Farbe gab es außer Matisse keinen Maler, also keinen farbgenuinen Maler, der dem Anfang beistehen konnte. Der orphische Physikalismus Delaunays inspirierte nicht, denn er war nicht artistisch elementare Malerei. Und Matisse wiederum – das Wunder seiner letzten Collagen gab es noch nicht – gehörte eigentlich nicht zu denen, die vorwärts trieben. [...]

um 1965

Aufzeichnung um 1965

Zwei Tatsachen als eine

1) Der Mensch, der sich verabschiedet hat von der objektiv vorgegebenen werkgerichteten Weltordnung, erfand – als Künstler, Maler – die absolute Malerei, die ihn – ohne alles außer ihm selbst – darstellt. –

2) Der Kosmos, das Universum, als von der Wissenschaft gesehen, ist existent ohne leitende Geisteskraft: ein Vorgang der Stoffverwandlung, Licht = Materie, Welle = Korpuskel, Energie = Materie sind ein und dasselbe. Vorhanden! [...]

um 1965

Aufzeichnung um 1965

Künstler und Umwelt

Der Künstler ist ein Mensch, der begabt ist, etwas zu machen, was es noch nie gab. Denn nur das ist Kunst, was in der Kunst noch nie da war.

In der Verbindung mit der Gesellschaft ist, da die Gesellschaft Forderungen stellt, eine solche Existenz undenkbar. Die Gesellschaft stellt Aufgaben unter den ihr bekannten Voraussetzungen. Sie inspiriert also nicht. Man kann also von einer Aufgabe des Künstlers in der Gesellschaft nicht sprechen. [...]

März 1966

Ansprache zur Eröffnung der Ausstellung
›E. W. Nay – Bilder und Grau-Aquarelle 1965/66‹
Galerie Der Spiegel, Köln, 18. März - Ende April 1966

[...] Daß hier kein Sprecher auftritt, hat seinen Grund darin, daß Werner Hofmann, der Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien, einen, wie alle voraus wußten, sehr guten Begleittext geschrieben hat. Die Krise der Kunstexperten ist hiermit – so bekannt sie ist – legitimiert. So vermochten Grohmann oder Haftmann hier nicht [zu] sprechen. Kein Künstler ist je so ängstlich und mimosenhaft wie jene Leute, die die Kunst eben nicht erfinden, aber zu gern erfinden würden [...]

24.5.1966

Beitrag zum Katalog der Ausstellung ›E. W. Nay‹
Württembergischer Kunstverein, Stuttgart
12. November – 25. Dezember 1966

Meine Kunst ist bis aufs Äußerste unliterarisch und verlangt, daß die Mittel das Bild bedeuten, wobei das Bild als Anschauung allein zu Tage tritt. Meine Kunst vermeidet die Raumillusion, auch jene Raumillusion, die durch artistische Mittel in Fläche verwandelt wird. Diesen vollständigen Mangel an Raumillusion sowie deren Umsetzung zur Fläche hat die moderne Malerei von der alten Malerei übernommen und gleichfalls als höchste Forderung aufgestellt, sehr oft dagegen verstoßen [...]