Aus einem Brief an Dietrich Voigt[1]
[…] Mich hat es einigermaßen beruhigt, daß Sie das abstrakte Malen für sehr schwierig halten, doch würde ich es noch besser finden, wenn Sie sagen würden, daß das Malen, das Formen überhaupt, außerordentlich schwer ist. Mir ist die Frage, ob abstrakt oder gegenständlich immer belanglos gewesen, ich frage nur, ob einer gestaltet oder nicht. Hier in den Westzonen wird wie wild ›abstrakt‹ gemalt, es kommt großen Teils dummes Zeug dabei heraus. Und ich weiß nicht, welches Vorbild ich Ihnen – und Sie brauchen eins, Sie sind noch recht jung – empfehlen soll. Warnen möchte ich Sie sozusagen vor Baumeister, der an sich ein bedeutender Künstler ist, aber allzu einfach arbeitet. Klee wiederum wird Ihnen schwer zugänglich sein, wenn Sie ihn nicht nur stilistisch sehen wollen. Vor allem müssen Sie sich darüber klar sein, daß Sie für alles, was Sie tun, gerade stehen mit Ihrem Leben. Nur wenn Sie nur das tun, was Sie ohne Beachtung der Umwelt tun können, können Sie etwas aufbauen, was Ihnen aus dem Wesen erwachsen ist. Es gibt heute allzu viele Leute, die ihrer Umwelt Sensationen bieten wollen. Von diesen hört man nach einigen Jahren nichts mehr. Die Kunst ist eine vollends private Angelegenheit, und man kann nur dann ein Kunstwerk hervorbringen, wenn man ohne alle Ambitionen, nicht einmal im Hinblick auf die nächsten Freunde oder Verwandten, irgend etwas zu gestalten sich vornimmt. Sie werden, wenn Sie den eingeschlagenen Weg verfolgen, merken, wie verschiedene Möglichkeiten die sogenannte abstrakte Malerei hat, prinzipielle Möglichkeiten. Es können formale oder geistige Absichten vorherrschen, es können konstruktive, räumliche, plastische oder archaische, mystische, religiöse, substantielle Absichten vorliegen. Sie sehen, es ist ein weites Gebiet. Ich würde Ihnen das Wort von Picasso empfehlen, als er gefragt wurde, ob er abstrakt male. Er antwortete [sinngemäß]: »Irgendwoher muß man immer kommen, man kann dann natürlich die Herkunft soweit verschleiern, wie man will.« Letzten Endes wird man sich immer von der Natur anregen lassen müssen. Tut man das nicht, so ist man auf ein sehr geringes Vokabular angewiesen. Und dies ist außerdem schon beackert, und es stehen da große Namen. Ich habe nie auf Stil oder Originalität besehen, Sie werden aber als junger Mensch erst Meister wählen müssen und an diesen lernen – bis zur Selbstaufgabe, wie die mit der Natur und dem Bild umgegangen sind. Später wird sich Ihre Eigenart herausstellen.[1] Junger Maler, damals in der ehemaligen Ostzone lebend.