Auf Bitten von Ernst Buchner[1] verfasster Katalogbeitrag
für eine Munch-Ausstellung (später doch nicht publiziert)
Begegnung mit Munch 1937
Verzweifelt über die unablässige Not, in die die diffamierten Künstler geraten waren, hatte C.G. Heise im Frühjahr 1937 an Munch geschrieben, den er gut kannte, und ihn gebeten, mir einen Aufenthalt in Norwegen zu schenken, einem Künstler eines Landes, in dem Munch in guter Zeit früh erkannt und berühmt wurde, eines Landes, das nun erblindet war.
Die zustimmende Antwort war von der Bitte begleitet, von einem Dankesbesuch abzusehen, da Munch – so schrieb einer seiner Freunde aus Oslo – krank und alt sei.
Doch Herr Prof. Heise bemerkte zu Munchs Bitte, daß jener empört sein würde, wenn ich ihn nicht besuchte.
So stand ich also im Sommer 1937 in Skøien bei Oslo vor Munchs Haus und sah ihn im Garten mit zwei Hunden, den Begleitern seiner Einsamkeit. Wie erwartet, war er sehr aufgebracht: »Ich habe Ihnen gesagt, ich bin ein alter Mann und kann nicht mehr sehen.« Ich höre diese Worte heute noch. Aber als ich meinen Dank wiederholte, wurde er sehr freundlich und auf einer Bank im Garten, mit dem Blick über den weiten Fjord, sprachen wir miteinander – er nun ruhig und in großartigen Gedankensprüngen die Welt umfahrend. Später zeigte er mir seine Ateliers und dann kamen wir sein Haus durchschreitend, in einen Raum, in dessen Ecke ein großer, meterhoher Haufen Briefe, in der anderen ein ebenso hoher Haufen seiner schönen und berühmten graphischen Blätter, Lithos, Holzschnitte und Radierungen lagen. Mit dem Spazierstock lüftete er die Blätter und zog dies oder jenes heraus. An Bildern sah ich wenig.
Abends in Oslo erfuhr ich, wie wenig skurril, noch etwa konventionell, sondern wie sehr von der Kenntnis seiner eigenen Anlagen her, die Bitte ihn nicht zu besuchen, begründet war. »Wie malt der Mann?« Er wußte, daß es hier geschehen könne – übrigens hatte er nie etwas von mir gesehen –, daß ein an sich so bedeutungsloser Satz sein Gehirn in wiederkehrendem Kreise lange Tage werde beschäftigen können, ohne Aufenthalt.
Ich aber glaubte, die Seele seiner Kunst zu erkennen, die manische Kraft ihrer Ideen und die magische Kraft ihrer Form.
[1] Ernst Buchner war von 1928 bis 1933 Direktor des Wallraf-Richartz-Museum in Köln, danach Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen in München.