Einführung zu einer Vorführung des Films
›Eine Melodie – vier Maler‹[1]
Drehbuch und Regie: Herbert Seggelke, 1953
Man sieht normalerweise sich Filme an und erlebt dort menschliche Geschehnisse. Sie erleben in deutschen Filmen z.B. das glückliche Familienleben, in französischen Filmen die Ironie des Lebens in perfekter Milieuschilderung, Sie erleben in amerikanischen, besonders in Farbfilmen, ganz wunderbare farbige Situationen; ich habe allerdings beobachtet, daß man diesen Dingen wenig Wert beimißt. Sie sehen die Realistik der italienischen Filme, also niemals den Film selbst. Wenn Sie jetzt den komischen Versuch machen, einen solchen Film sich auf dem Kopf anzusehen, so würden Sie sehen, daß sich alles außerordentlich schnell abwickelt und Ihnen die illusionistischen Formen suggeriert werden und der Film selbst sich eigentlich als zweidimensional flächig ergibt. Diese Beobachtung führt dazu zu sagen, was ist das eigentlich Filmische? Film, im Deutschen Emulsion (das Wort Film bezeichnet Emulsion), im Englischen movie – Bewegung, damit haben Sie’s.
Und nun haben sich eine Reihe von Leuten schon seit 30 Jahren damit beschäftigt, die Frage aufzunehmen, ob [der] Film künstlerische Möglichkeiten an sich enthält oder nicht.
Ich habe vor einiger Zeit einen Micky-Mouse-Film mir in der ersten Reihe ansehen müssen. Das Kino war voll. Ich war überwältigt von der Formensprache, denn dem eigentlichen Ablauf des Geschehnisses konnte ich nicht folgen, weil ich zu nah dran saß. Es erschienen Zacken, große und kleine Kreise, merkwürdige Lineamente, und ehe ich begriffen hatte, welchen realistischen Situationen sie entsprachen, war das Bild weitergegangen. Ich sah also das eigentlich filmische Element. Natürlich derjenige, der diesem filmischen Element jetzt in seiner absoluten Form nachgehen will, wird mit abstrakten Mitteln arbeiten, die jegliche Assoziationen wegfallen lassen. Sie haben in dem Mc Laren-Film eine Überfülle von Möglichkeiten gesehen. Stellen Sie sich technisch vor, daß Mc Laren daran mindestens ein Jahr, wenn nicht länger, gearbeitet hat. Das ist jedoch nicht das Wichtigste. Es soll Ihnen nur die Schwierigkeiten aufzeigen, mit der an die eigentliche Kunst des Films heranzukommen ist. Farbige Situationen wechseln mit graphischen ab, statische mit dynamischen, gegenständliche Formen mit ungegenständlichen, Assoziationen mit Dekorationen. Bei dem Film von Herrn Seggelke finden Sie eine Primitiv-Methode (Technik …), diese eindeutige Vereinfachung bis zur Sichtbarmachung der Niederschrift – ein interessanter Kulminationspunkt.
[1] Optische Interpretation der Polonaise aus der französischen Suite von Johann Sebastian Bach durch: Jean Cocteau, Hans Erni, E. W. Nay, Gino Severini