Aufzeichnung vom 22.9.1953
Ich habe einen starken Argwohn gegen die Definition des Geistigen als des Inneren, des metaphysischen Kerns des Menschen. Diejenigen, die diese Idee vertreten, sind mir verdächtig. Immer sind es Leute der bürgerlichen Gesellschaft, von der jeder weiß, daß sie nicht mehr so existiert, daß sie geistige Emanationen und Konzeptionen von umfassender Gestalt herzustellen vermag. Es existiert gar keine Gesellschaft, weder eine bürgerliche noch eine unbürgerliche. Die soziologische Wertung ist verändert und die Masse ist Tatsache. Die Gliederung der Masse, die Neuordnung der Masse ist Symptom der Gegenwart. Flüchtlinge, jeweils Regimeverdächtige, Erwerbende und Nichterwerbende, selbst Religionsgruppen. So etwa sehen die ersten Formen der Regulierung aus. Nicht Bürger und Arbeiter, auch nicht Bürger und Proletarier. Diese neue soziologische Struktur ist Ausdruck einer anderen Lebensidee, einer anderen Grundform. Das Achten auf die primitiven Bedürfnisse ist Beachtung zugleich der eigentlichen menschlichen Substanz. Häuser und Hütten aus gleicher Grundstruktur. Diesen Massenformen Struktur verleihen durch Rhythmisierung. (Im Rhythmus liegt letzten Endes das Weltgeschehen.)
Die Zahl formt den Rhythmus, und so leitet ein Gedanke in die Kunst. Das Geistige, das heißt etwas für etwas setzen, Formen setzen, die für etwas aussagen. Spannungen bauen (Malerei), Volumen errechnen, farbige Situationen ausstreiten, d.h., daß dies alles steht für das Gleichnis zum Menschen, der sich neu ordnet und neu ortet. Die Substanz der Massen beschwörend entsteht Ordnung der Massen. Die Fläche wird zur Transparenz, die Fläche transzendiert.
Mir geht es um eine von der Zahl her gestaltete Fläche, durch die sich das Universum als Emanation reflektiert. Das Sichtbarmachen der Ordnung ist der metaphysische Grund meiner Kunst. Ordnung ist das Bemühen des Menschen um diese Ordnung, an der er teilhaben kann und will, ist das Ewige, die Emanation der Ordnung aber ist das Zeitgebundene. Die Art und Fähigkeit, an ihr teilzuhaben, sie durch formale Gestaltung zu beschwören, wandelt ist in den Zeiten. Der Mensch kann sich nur als Mittler empfinden und betätigen, der Künstler vermittelt durch die von ihm gesetzte Ordnung das universale Sein in zeitlicher Faßbarkeit. Mittler auch insofern, als er mit seinen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln allein und einzig umzugehen hat, sie selbst meinend und seinen Willen auf sie konzentrierend, nicht aber auf die Absicht, das Metaphysische auszusagen. Etwas Seelisches aussagen zu wollen, das ist ebenso kitschig wie irgendein anderer ›Naturalismus‹. Es gibt also heute auch einen ›Naturalismus‹ der Seele.