25.2.1946

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Aus einem Brief an Erich Meyer

[…] Die entscheidenden Jahre meiner Entwicklung als Mensch und als Künstler waren die Jahre 1942-44. Ich habe da die ganz seltene Einheit zwischen Leben und Kunst erlebt, wobei die Hauptrolle eine außergewöhnliche Frau spielte, die zur Zeit unerreichbar fern ist. Das Märchen von einem, der auszog das Gruseln zu lernen. Lesen Sie es nach! […] Dies das sehr Private, indem meine Kunst weiterhin von diesem ›Traum‹ sich nährt, und ich von hier aus eher hoffe, eine Realisierung zu erreichen, als aus Berlin. Dorthin zurückkehren, das wäre eben die Resignation, von der ich künstlerisch nur Negatives zu erwarten glaube. […]

Es muß noch Künstler geben, die rein in der Kunst, um des Geistes willen arbeiten und nichts nach der Öffentlichkeit fragen. Wobei ich sehr wohl den Wunsch meiner Freunde, die in den schweren Jahren zu mir hielten und denen meine Kunst immer etwas bedeutet hat, verstehen kann und hoch anerkenne, mich wieder bei sich zu sehen und den direkten Umgang mit meiner Kunst zu haben. […]

Waren die Jahre 42-44 die Jahre reiner Intuition, so sind die jetzigen Zeiten Zeiten der formalen Arbeit, der reinen Vergeistigung. Meine Welt steht, sie will gestaltet sein, sie entstand aus einem allumfassenden – wenn Sie wollen – ›Traum‹, der aber die eigentliche Wirklichkeit war. Nun sitze ich hier und forme. Und wieder sind dazu Opfer notwendig, Opfer am persönlichen Leben. Diese Zeit wird mir das klar geformte reine Bild schenken, die Öffentlichkeit, so chaotisch heute, dringt nur selten und dann gemäßigt bei mir ein und darf auch nicht Besitz ergreifen von dem, was ich bin. Wieder ein Opfer, daß ich meine Freunde entbehre, die ich so gern – wie früher – teilnehmen lassen möchte und aus deren Freude an meiner Arbeit, meinen Zaubereien, mir wieder – wie damals – neue Kraft zuströmen würde. […]

Traum, Wirklichkeit, was ist dem Künstler die wahre Wirklichkeit? Wie allen großen Dingen ist auch diesen die Tragik nach allen Seiten hin allzu nahe. Doch wird sie auf allen Seiten erkannt und bewußt gelebt. […] Unsere Gegenwart ist so, daß der reine Künstler wieder abseits steht und das Feld den halben überläßt bis seine Zeit kommt und sie kommt. Denken Sie doch, was auf dem Spiele steht. […] Unsere Zeit hat das Direkte der antiken Tragödien, die ich hier oft lese. […]

Meiner Meinung nach ist Berlin die kommende wichtigste Stadt Europas, in der der Westen und der Osten sich vereinigen werden zu einem neuen Byzanz. Paris erkannte ich schon 1928, als ich dort war, im europäischen Sinne für bedeutungslos, wenn auch wunderschön. Die zweite Stadt ist Prag. Doch bis diese Situation sichtbar wird, vergehen Jahre, vielleicht 10. Beobachten Sie nicht in den Kunstformen der neuesten Kunst Formen, die die byzantinische Kunst vorwies? Die Kunst ist immer, unbewußt, voraus, auch wird der Kollektivismus kulminieren und seine Transzendenz gebären. So wird die Kunst und das Leben eins werden. Doch – Sie werden sagen »nun, dann, wenn Sie so denken, kommen Sie doch her!« Erstens schafft man das Neue besser, oder sogar nur, in einem altmodischen Palast und zweitens bin ich kein polemischer Künstler, mir wäre also das Chaos der Geburtsstunden nicht heilsam. Darum ziehe ich den alten Westen vor, nicht um mich dem Vorhandenen und Kommenden zu entziehen, sondern um klar und entscheidend zu sein und zu wirken. […]

Die Bilder der reinen Intuition waren schlackenlos, die jetzigen, die höhere formale Anforderungen stellen, nicht immer. Die weitere geistige formale Klärung kann nur in der Stille am besten geschehen, und ich muß es ertragen, daß ich nicht voll und rund leben kann, im Gegenteil den Mangel zu eliminieren zum reinen Bild. »Man sticht dem Stieglitz die Augen aus, damit er singt.« […]

Die letzten 40 Jahre europäischer Malerei in Deutschland und Frankreich, hier das romantische Urbild, dort die Urform und nun sind in meiner Kunst reichliche Ansätze zur Zusammenfassung. […]

Das wurde schon vor dem Krieg in Berlin erkannt, und, nachdem nun die Entscheidung in den Jahren 42-44 gefallen ist, arbeite ich geradewegs auf das Letzte zu, was die Malerei zu geben vermag. Es klingt dies geradezu vermessen, doch darf ich – wie Sie es ja auch wissen, darauf hinweisen, wie ich nur das male, was in mir wirklich ist, und somit stets und ständig äußerst hart mit mir umgehe. Glauben Sie, daß das alles im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit vor sich gehen kann, noch dazu dieser, der heutigen Öffentlichkeit? […]

Sie sehen, es gibt für mich eigentlich keine direkt realisierbaren [Pläne] außer dem, daß ich den ›Traum‹ meines Lebens, den – wenn Sie wollen – Künstlertraum realisieren will, daß das reine Leben und das reine Bild eine Einheit bilden, wie es einmal mir die Götter schenkten. Dies auf der reinen Höhe des Geistes zu gewinnen, das ist mein einziger ›Plan‹. Ein weiter Weg, der von Tag zu Tag durchgestanden sein will. […]

Über den Autor

von E.W.Nay