Manuskript eines Interviews des Nordwestdeutschen Rundfunks
Frage: Wie findet man als Betrachter Zugang zu einer Malerei, die entweder bewußt auf das Gegenständliche verzichtet oder aber es so umschmilzt, daß die – sagen wir: natürliche Form entstellt wird?
Die Malerei der Gegenwart basiert auf der Vorstellung von der Werkgerechtigkeit des Bildes. Das heißt: während in der Plastik das Material und der reale Raum, in dem der Mensch lebt, bereits als werkgerechte Grundlagen erkannt sind, besteht eine Werkgerechtigkeit des Bildes natürlich nicht im Material, sondern in der künstlerischen Gestaltung der Bildfläche, die imaginative Forderungen stellt. Diese imaginativen Forderungen haben für die Malerei der Gegenwart zwei Ausgangspunkte: den halluzinativen, das Unbewußte beschwörenden, des Urheber Klee und Kandinsky sind; und den tektonischen, die Bildgestalt in imaginativer Bewußtheit, das heißt bildformender Bewußtheit fordernden, dessen Urheber Cézanne und der Kubismus sind. Diese tektonische Bildgestalt ist die Anlage meiner Malerei.
Frage: Wie also verhält sich die Frage nach dem Gegenständlichen zu dieser Forderung der Werkgerechtigkeit?
Der Maler malt nicht mit der Natur, nicht gegen die Natur, sondern im Sinne der Natur. Damit ist für ihn die Frage nach dem Gegenständlichen nicht primär. Andererseits ist ihm die Bildgestaltung keine Methode, mit der er Gegenständliches oder Ungegenständliches sichtbar zu machen bestrebt sein könnte. Sondern die Bildgestaltung ist ein Schöpfungsakt in sich selbst, und es ist Schicksal der Gegenwart, diese scheinbare Anmaßung als Grundlage annehmen zu müssen.
Frage: Der Maler also malt, wie Sie sagten, im Sinne der Natur. Das kann doch nur heißen: seiner Natur. Sie weisen doch selbst auf die scheinbare Anmaßung hin.
Ich sprach vorher von der imaginativen bildformdenkenden Bewußtheit. Ich stellte auch fest, daß die Forderung der Bildgestaltung für mich die entscheidende und primäre ist. Wenn also damit die Bildgestaltung, das Bild, objektiv von sich aus Forderungen an mich stellt, ergibt sich für mich, daß meine individuelle Person, mein Individuum zum Subjekt wird. Damit verliere ich die ichbezogene individuelle Sphäre und werde handelnder Träger gegenwärtigen Lebensgefühls aus meinem Ich.
Frage: Wäre das möglicherweise der Ansatzpunkt für die Allgemeinverständlichkeit künstlerischen Schaffens?
Ich muß Ihnen die Bezeichnung »handelnder Träger gegenwärtigen Lebensgefühls« zu erläutern versuchen, beschränke jedoch diese Erläuterung auf den, der bildnerischer Gestaltung fähig ist. Wenn ein Zeitabschnitt menschlicher Geschichte sich hingezogen sieht zu bestimmten vergangenen Epochen, so ist in einer solchen Beziehung nicht ein ästhetischer oder allgemeiner Wunsch wirksam, sondern eine dem heutigen Menschen eingeborene Formgestalt fühlt sich zu einer ähnlichen Formgestalt hingezogen. Das heißt, der Mensch trägt in seiner zeitlichen Lebensgestalt eine nur dieser gemäße Formmöglichkeit, die im Unbewußten ruht. Der Künstler vermag sie heraufzubeschwören. Dem Künstler wird also das Unbewußte bewußt.
Frage: Offensichtlich sagen Sie damit, daß Ihre Malerei nicht nur Ihre individuelle Angelegenheit ist, sondern daß das Allgemeine Gestalt gewinnt. Ich kann mir vorstellen, daß dieses Allgemeine, aus dem Unbewußten ins Bewußte gehoben, die Grundlage zum Verständnis ergäbe. Ergibt sich etwa aus diesem Allgemeinen auch eine Nachfolgeschaft Ihrer Kunst?
Ich sagte, daß es eine jeder Zeit eigentümliche Formgestalt gibt, die der Künstler ins Bewußtsein bringt. Er gestaltet also bewußt und damit denkend, doch ist dieses künstlerische Formdenken ein anderes als das von der logischen Vernunft gestörte Denken. Eine Methode der Bildgestaltung, die auf der allgemeinen zeitlichen unbewußten Grundform basiert, ist also keine Angelegenheit des l’art pour l’art, sondern es verbindet sich die geistige – das heißt: bewußte Bildgestaltung mit dem Unbewußten der zeitlichen Grundform. Aus dieser Verbindung erwächst das Lebendige.