Aus einem Brief an einen Kunstfreund
Katalogbeitrag zur Ausstellung ›E. W. Nay – Bilder des Jahres 1947‹
Galerie Dr. Werner Rusche, Köln, Februar/März 1948
Bevor ich zusammenfasse, muß ich über die formale Gestaltung des Bildes sprechen. Das wesentliche Problem des aus der Farbe geformten Bildes ist das des Raumes.
Zwei Dimensionen hat die Fläche; die dritte, der Tiefenraum, wird durch das Relief, verbunden mit den Plänen, derart gestaltet, daß die Fläche nicht durchbrochen wird.
Das Relief – es sei angemerkt, daß es sich dabei nicht um den Farbauftrag oder den Auftrag anderer Materialien handelt – ist eine Gestaltungsform des Kubischen und wird so entwickelt, daß konkave und konvexe, positive und negative Formen einander in voller Erhaltung der Fläche ablösen. Der Wechsel von konkaven und konvexen Formen wird weniger durch den Wechsel von hellen und dunklen Farben als durch den Wechsel von kalten und warmen entwickelt. Zugleich müssen die Pläne der Farben ordnend einwirken. Die vorerst zweidimensionale Setzung der Farben gruppiert sich zu Farbkreisen, indem Farben einer Qualität zusammengefaßt werden und in Beziehung zu Farbkomplexen anderer Qualitäten treten. Mit solchen Farbkomplexen werden Pläne – vor- und zurückliegende, sich durchdringende – gestaltet, die bildräumliche Funktionen erfüllen. Diese Planordnungen und Durchdringungen müssen sich mit dem Relief aus konkaver und konvexer Form verbinden. Aus der Höhe und Tiefe des Reliefs, aus der Anordnung der Pläne entsteht die dritte Dimension. Die Raumzeit, die vierte Dimension, bezweckt durch die in ihr gegebene Möglichkeit, die Farben in ihrer emotionalen Bedeutung voll auszunutzen, eine intensivere Verknüpfung der durch die Farbkreise entstandenen Flächen und Planordnungen mit der durch das Relief entstandenen kubischen Ordnung.
Diese Gesetzmäßigkeiten sind mannigfaltig angewandt worden und haben sich bisher nur in der Verbindung mit der Darstellung der äußeren Realität erweisen können.
Fehlt, wie in unserer Zeit, als Folge der ›Zusammenhanglosigkeit‹ die Möglichkeit zur äußeren Realität, so scheint die Anwendung der Gesetzmäßigkeiten in dieser raumfassenden Vorstellung undenkbar, und die zweidimensionale Malerei, in der die dritte Dimension durch ausdeutende Tendenzen ersetzt wird, wäre die einzige Möglichkeit. Doch mir ergibt sich aus meinen Bildern als Ergebnis meiner Arbeit folgendes: Die Gestaltungsfähigkeit und die in der sichtbaren Natur zu erahnende gesetzbestimmende Gestaltform, beides sind Emanationen des Universums. Der Freiheit der Gestaltung tritt die Bindung an das Universum entgegen, die Freiheit ist eine gebundene, das heißt objektive. Diese Objektivität nach außen und innen, in Beziehung zur gesetzbestimmenden Gestaltform, die der Natur zu entnehmen ist, und in Beziehung zur Gestaltform des Bildes, schließt die autonome Wirklichkeit des Bildes auf – das substantielle Bild – die objektive Malerei. Die Aufgabe ist nicht, das Universum zu gestalten, sondern sich hineinzuhalten und erregt im Staunen durch bewußtes Formen daran teilzunehmen.