um 1939

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Aufzeichnung um 1939

Als späteste der Künste fand die Malerei die freie geistige Gestaltung. In vielen Versuchen, die vom Ausgang des 19. Jahrhunderts bis jetzt unternommen wurden, löste sich das form- und farbgewinnende Gesetz vom Motiv, sinngemäß, denn das Motiv hat seine Bindungen im Geistigen, Religiösen verloren.

Während die höchste Form der Musik, die absolute Musik, letzte Bindung vermittelt, tastete die Malerei Jahrzehnte im luft- und lichtleeren Raum, das Kosmische bestenfalls noch ahnend, andererseits das abstrakt Geistige heranholend. Jetzt erst entsteht langsam die große Vereinigung mit dem Zentrum, dem mythischen Gesetz, das als Lebensgesetz kein fester, einmaliger Pol, sondern Leben ist, Werden und Vergehen. Die Malerei, ein künstlerisches Gestaltungsmittel, hat nach jahrelanger Bereinigung die absolute Farbe wiederentdeckt, die ihren Klang, ihre Sprache herbeizieht aus den Symbolwerten für die mythische Gebundenheit des Menschen, für sein körperlich-geistiges Gebundensein in Himmel und Erde. Fern jedes literarischen Prinzipes entsteht das Bild aus der absoluten Farbe, die Form, Raum und Licht erzeugt und wird nicht als formales, d.h. intellektuell entstandenes Gebilde verstanden werden, sondern ohne die unbewußten, nur dem Gestaltenden sichtbaren Symbolwerte der Farben bemerken zu müssen oder zu können, wird der aufgeschlossene Betrachter das schöpferische Ereignis der großen Einheit des Seins empfinden. Im Bilde, im Künstler, im Betrachter wird gleichermaßen Gott sein, d.h. das Leben.

Das Licht entsteht von selbst. Wie es der absoluten Farbe entspringt, ist noch ein Rätsel. Denn bisher umging man dieses Rätsel durch Licht und Schatten, durch Rundformung, Modellierung, durch Perspektive, Beleuchtung. Die neue Kunst kennt nur die Farbe in ihrer mythischen Symbolkraft, aus ihr entsteht Form, Bewegung, Licht.

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von E.W.Nay