Aus einem Brief (Name des Adressaten unkenntlich gemacht)
[…] Sie sollten einmal erwägen, daß die Künstler, die der klassischen Kunst huldigen, darauf resigniert verzichtet haben, Gemeinschaft zwischen Kunst und Volk zu erzielen, siehe Goethe, was Sie ja nachlesen können. Daß der einzelne aus derselben Zeit, Runge, den Glauben an die Gemeinschaft hatte, obwohl nur ein einziger seiner Kunst folgen konnte!Das Nationelle [Nationale] und das Klassische sind Gegensätze. Das sage ich Ihnen heute, 1939, und die Folgen könnte nur der wissend Geistige abwenden. Der aber läßt sich treiben. Denn diese Gegensätze zerreißen das innere seelische Gefüge des Volkes, noch nie habe ich gehört, daß irgendein aufrechter Mensch von der heutigen internationalen Bahnhofskunst auf das national Wesentliche zu schließen vermochte. Und die Künstler? Barlach ist ja schon vergessen, wenn man auch [um] seinen Namen und sein Werk weiß. Aber der Gebildete registriert nur und schwingt sich nicht mehr zur Verantwortung auf. Es liegt nicht an den Unwissenden, daß man die echte deutsche Kunst beschimpft, sondern an den Geistigen, die mit ihrer Laschheit die Kunst verleugnen und lieber der Halbkunst huldigen, in der das bequeme Alte noch irgendwie herumgeistert. Was ist schon für ein Unterschied zwischen Gerhard Marcks und Breker, außer daß Marcks ein saubereres Talent, größeres Talent ist. Bildung ist beides, Breker die Bildung des Friseurs, Marcks die Bildung des Humanisten. Und dann die Handwerker, die man heute für Künstler ausgibt, die aus irgendwelchen Büchern Kunstwerksideen entwickeln.
Was für eine trostlose Zeit. Nein bestimmt, ich kann froh sein, daß diese Sterilität sich nicht um mich kümmert. Warum sind es mehr alte als junge Leute, die sich um mich kümmern? Ihrer Meinung nach, weil es etwas ›Überholtes‹ sei, was ich vorhabe. Ich erwarte etwas mehr Niveau und Souveränität. Das haben die alten, während die junge geistige Welt größtenteils, so gut wie alle ein gebrochenes Rückgrat haben. […]