11.8.1966

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Aufzeichnung vom 11.8.1966

[…] Ich bin der Maler der analytischen Farbe, der geistig entwickelten Farbe, die das Intellektuelle wie das Physikalische wie das Gefühlshafte vermeidet. Ich weiß, daß es das außer [bei] mir heute nicht gibt. Ich verlange also von mir, daß ich allein aus der geistigen Setzung der Farbe – als Farbsetzer (gleich [dem] Tonsetzer in der Musik) – lebendige Ergebnisse erziele.

Lebendig? Was ist lebendig?

Zu meiner Person als Künstler: Zwilling und Wassermann und Saturn, folgende beiden Gegensätze: Einerseits ein vitaler, temperamentvoller Instinkt, dem Leben zugewandt, zur intensiven Wahrnehmung der Welt angelegt und dazu, alles zur Anschauung zu verwandeln.

Andererseits ein analytischer Geist, der als Farbensetzer die Analyse der Farbe als Aufgabe seiner Natur sah und die Zahl mit der Farbe in Verbindung brachte – aber alles dies ganz ohne die Beachtung der Natur, der äußeren Wirklichkeit. Diese Analyse der Farbe wird eindeutig rein artistisch betrieben, ohne jede Bezugnahme auf physikalische Tatsachen, auf optische und visuelle Analysen, die mir für die Kunst als sinnlos erscheinen. Kunst kommt von Kunst, und Bild entsteht aus Bild.

Diese Analyse, deren Ansatz ich in einem kleinen Buch über die Gestaltfarbe festhielt, wurde, weil sie anaturalistisch ist, musikalisch genannt. Das trifft zwar nur im ganz Allgemeinen zu. Ich konnte jetzt – 12 Jahre nach dieser Niederschrift ›Die Gestaltfarbe‹ [›Über den Gestaltwert der Farbe‹] – die Fortsetzung erarbeiten. Aber da gibt es ein ›Aber‹:

Analyse heißt ja die Grundformen auseinander nehmen, um ein System zu finden. Gut, ich habe ein System gefunden. Vor den Scheibenbildern um 1952 herum, in einer Art action painting die rhythmische Setzung der Farbe in nebeneinander und zueinander, auch in der Durchdringung gesetzten Farbveranstaltungen.

Dann die Scheibenbilder. Die Analyse vollzogen und dargestellt. Dabei kam die Zahl zu Tage, die in ihrer Fixierbarkeit wie in ihrer Rhythmisierbarkeit wichtig wurde. Unbewußt malend, nachher kontrollierend, stellten sich Zahlenschemata ein, etwa 5, 5, 888, 3, also mehrmals ungleiche und eine gleiche, oder 4, 4, 66, 2. Es entstand etwa die Idee eines farbigen Kontrabasses. […]

Ich ging nicht viel weiter damit, und das war richtig. Ein Kunstwerk ist etwas anderes als ein logisches, rechnerisches Gebilde. Meiner Natur entsprechend folgte ich zwar weiterhin durchaus dem System der zahlengleichen Farbanalyse, arbeitete aber stärker am eigentlichen Bild der Anschauung, in der Erkenntnis, daß nur die unreflektierte Anschauung Bild sein kann.

Heute, seit 1½ Jahren, arbeite ich an der Synthese beider Grundformen meiner Natur. Dabei kam ich dazu, die Anschauung zu vereinfachen, die Anschauung so klar wie möglich zu machen, die Fläche als Grundbedingung anzusehen – jede nur mögliche Illusion zu vermeiden, die Veranstaltungen sich nicht mehr überschneiden zu lassen, die schon in frühester Jugend geübte Arabeske zu benutzen, die Farbarabeske, sogar den Hiatus einzubeziehen, die Störung des harmonischen Formbildes durch ein Formfarbelement fremdester Art, für das Bild fremdester Art. Grundsätzlich befindet sich mein Bild nur in der Welt der Vorstellung des Menschen und läßt die Natur beiseite. Es entstehen aber natürlich Formen, die Assoziationen zulassen, das tut nun aber jede Form. Es gibt keine Form ohne die Möglichkeit zur Assoziation. Diese Frage versuche ich zu steuern – im Bild. So also erfinde ich eine neue Malerei – die Malerei unserer Zeit.

Vor mir beschäftigten sich folgende Maler mit diesen Problemen, doch in anderer Stellung zu diesen Problemen:

1. Delaunay – orphischer Kubist – bei der Anerkennung der sichtbaren Natur und Anerkennung der physikalischen Werte der Farbe.

2. Kupka – empfindet die Kabbalistik der Zahl für die Kunst, sucht das Kosmische und den kosmisch dreidimensionalen Raum darzustellen – ist also illusionistisch – zugleich die Scheindarstellung des dynamischen Raumes – also der Raum-Zeit.

3. Freundlich sucht die Gestaltung des Bildes durch die dynamische Ordnung der Farbe.

Meine Illusionslosigkeit sei hierzu erörtert:

1. Keine Physik. 2. Keine Natur. 3. Keine Illusionen.

4. Aberkennung einer Verbindung von Physik und Kunst.

Über den Autor

von E.W.Nay