1964

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Interview im Fernsehfilm ›E. W. Nay‹
Bayerischer Rundfunk, München 1964

Frage: Kümmert Sie eigentlich, ob das Publikum, ob die Leute verstehen, was Sie malen?

[…] es ist einfach ganz eindeutig, daß ein Publikum in Deutschland, in Westdeutschland, in Ostdeutschland und in der Welt interessiert ist, was die Künstler machen. Denn was die Künstler machen heute, ich oder andere, das ist eine merkwürdige Sache.

Frage: Man hat Sie einen Zauberer genannt, Herr Nay. Spürt das Publikum bei Ihrer Malerei diese Verzauberung? Ist da etwas dran?

Es ist offensichtlich so, daß man sagen könnte, daß ich andererseits von mir aus – entschuldigen Sie, wenn ich das sage – meine Bilder so male, daß das Publikum diese Bilder direkt annehmen kann, ohne Reflexion.

Frage: Ihre Bilder haben etwas Beschwörendes, etwas Magisches. Was wollen Sie beschwören?

Wenn ich das wüßte! Aber eins weiß ich, daß ich die Gegenwart anrege. In der neuen Situation, da will ich wissen, was Natur ist. Und da fragt jeder, auch der Einfachste und auch der Klügste: Was macht der Künstler? Und der Künstler ist dann ein Mensch, der das zauberisch hervorbringt, was die andern tatsächlich längst schon fühlen, aber nicht deutlich haben, nicht wissen, was es ist, aber sie merken es, und das ist der unheimliche Kontakt.

Frage: Und Sie glauben, daß Ihre Malerei eine aufklärende Funktion in diesem Prozeß hat?

Nein, natürlich nicht. Das wäre ja furchtbar. Die Malerei hat gar keine Funktion. Aber ein Künstler träumt vor sich hin, und wenn er eben diese Menschen anspricht, so tritt was hinüber, so gibt es eine Transzendenz. Das versteht das Publikum von selbst, ohne jede Bildung, ohne jedes Wissen, was dieser Künstler da versucht hat. Vielleicht stimmt es nicht von Seiten des Künstlers, was der Künstler sagt, muß nicht immer stimmen. Aber das Publikum, ich weiß es sehr genau, die Menschen gehen sehr stark und sofort mit, und sie verstehen haargenau, was man macht. Und wenn man Mist macht, verstehen sie’s auch.

Frage: Welche politische Haltung könnte ein Künstler heute in Deutschland einnehmen?

Na, wissen Sie, eine Kardinalfrage. Aber doch verhältnismäßig leicht zu beantworten. Mit Philosophie, und die Deutschen waren ja ein Land der Dichter und Denker und werden es hoffentlich bald wieder, können Sie nichts machen. Mit Theologie können Sie auch nichts machen. Was also kann ein Künstler in diese Welt der Deutschen hineinsprechen, wenn er hineinsprechen will? Ein Künstler spricht natürlich für sich selbst, aber es kann sein, daß die Bilder hineinsprechen. Und dann, würde ich sagen, ist er ein Zauberer, der in dieser Welt, die sich intellektuell beschäftigt, geschäftlich beschäftigt, diese Frage der Bewußtheit stellt, die sich nun plötzlich in eine Zauberei verwandelt. Und da ist der Zauberer, und dieser Zauberer spricht vom Leben unserer Welt. […]

Über den Autor

von E.W.Nay