9.11.1962

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Aus einem Brief an Werner Haftmann

[…] Meine Kunst ist […] wieder heftig auf Eroberung aus. Immer mehr sieht man, daß ich auf anderem Boden gewachsen bin als [die] ›Ecole de Paris‹ oder [die] Amerikaner. Es ist der weitere Schritt aus dem ›Blauen Reiter‹ – den romantisch zu sehen Unsinn ist! –, wenn man 40 Jahre dazwischen legt. […] es wäre schön, wenn Sie Ihren Hang zur Romantik bekämpfen könnten, um weiter voranzuschreiten. Schlagen Sie diesen Hang tot, Sie können mehr, im Totschlagen dieser ›Sentimentalitäten‹ werden Sie einen neuen Ansatz für sich finden.

Die Gebildeten verhindern die Evolution. Das, was nun beginnt, sich abzuzeichnen beginnt, entwickelt sich in breitester Front, von dem einfachen Mann über alle Stadien bis zum Wissenschaftler und einigen Künstlern: eine vollkommene Mutation des menschlichen Wesens. Lassen wir Teilhard de Chardin beiseite. Ein Setzen auf einen Namen ist ohnehin dumm. Und wenn er auch Christus streichen muß, die Idee, mit aller Gewalt Gott zu erhalten, ist fragwürdig. Es gibt sich von selbst, daß das neue Bild des Menschen nicht materialistisch ist. Sehen wir lieber Freud, Einstein, und die ganze moderne Physik an! Und genauer als bisher. Das heißt, nicht die Namen, sondern, was sie wieder entdeckten […]

Über den Autor

von E.W.Nay