Beitrag zum Katalog der Ausstellung ›E.W. Nay 1945-1962‹
Galerie Springer, Berlin, 25. September – 21. Oktober 1962
An einem entscheidenden Punkt habe ich die Malerei so andauernd und exakt wie möglich betrachtet, um ihr Wesen zu erkennen, das zu sehen, was ich ihren bildnerischen Mechanismus nennen könnte. Die Farbe war mir als der spontanste, unwägbarste Wert erschienen, der sich durch nichts deuten ließ, wenn man ihn von einer jeweils zugehörigen Erscheinung löste, im Gegensatz zur Zeichnung, die sich intellektuell verstehen läßt. Es ist mir wichtig erschienen, daß in der Endzeit des Cartesianismus gerade die Zeichnung zur psychisch-künstlerischen Aussage verwandt wurde und nicht die Farbe; die Farbe selbst wirklich nicht! – Ich erfand ihr die Scheibe, die Kreisform und dies keineswegs aus einem physikalisch-intellektualistischem Grund, hatte mir damit, indem der gezeichnete Kreis zugleich realer Kreis selbst ist, die Farbe als Realität der Fläche erfunden.
Also: Die Spontaneität der Farbe, daher ihre Einbindung in den Kreis. Scheibe, Kreis als gemalter Kreis zugleich realer Kreis – so wurde Farbe zugleich Realität als Farbe und als Fläche. Nun versuchte ich mit einer Andeutung eines Farbsystems weiterzukommen, das, eine Vielheit von Kreisfarbscheiben zur Fläche gesetzt, neue Erwägungen heraufbrachte. Ein magisches Element trat hinzu. War es irgendetwas, das in heutiger Zeit Natur genannt wird, war es irgendetwas, das sich vorsichtigerweise mit Musik vergleichen ließ? Eine eigentliche Satztechnik war ja nicht zu entwickeln, da sich die Farben denn doch nicht festlegen ließen und wirklich, man kann hier nicht mehr mit einer grundsätzlichen Grundfarbenauswahl weiterkommen. Man hätte ein für allemal eine beschränkte Anzahl von Farben als allein für die Malerei vorhanden anerkennen und auswählen müssen. Das ging gegen meine Natur, die ohnehin alle Doktrin schnellstens zerbrach. Da ja nun niemals eine Fläche platt bleibt, eine Plattheit bleibt, wenn man einen Strich, einen Klecks Farbe darauf macht, so mußte dieser Teil der Funktionen organisiert werden. Positiv zu negativ, Form in drei Andeutungen, eine aktive, eine passive, eine indifferente; Größenrelationen, ein instinktiv mehr als intellektuell geführtes System von Relationen und Funktionen. Das alles ergab sich aus der ersten Verbindung von Farbkreis und Fläche.
So entstand ein Bild, vital, weltzugewandt, eine spontane Lebensäußerung als farbige Erscheinung. Ein Universales, in sich existierend, ein Einhaben im Bild, Einhaben des den Menschen einschließenden, das Ganze seienden Universums, das existent wird durch Einnehmen, Hineinnehmen in das Bild; wie der Kannibale den anderen frißt, um seinen Geist, seine Kraft zur eigenen dazu zu erhalten; wie das Kind die Welt erfährt, indem es alles in den Mund steckt.
Dieses Bild steht weder auf dem Boden des Cartesianismus, der Vernunftlehre unserer Zeit, des ›ego cogito ergo sum‹, noch im Gegensatz dazu. Die Kunst unserer Zeit glaubt bei Ausschaltung der Bewußtheit des Ganzen teilhaftig zu werden. Meine Kunst hat einen anderen Ansatz. Keine Stellungnahme zum Cartesianismus, weder zustimmend noch sich widersetzend, gehe ich von der Tatsache der je und immer im Universum – im Menschen also auch – existenten Bewußtheit aus, die im Atom ruht, die sich im Menschen entwickelt und weiter entwickeln wird. Für diese Bewußtheit ist Intellektualität ein geringes Zubehör, ein mögliches Mittel nur.
Natur? Natur sollte dann Universum heißen und Wirklichkeit die Verwirklichung des Menschen als Universum.
Berlin – stünde es wie es früher war – es wäre heute der urbane Platz einer neuen Kunst, die nicht mehr von der Zustimmung oder Ablehnung des Cartesianismus bestimmt wäre.