Aufzeichnung um 1961
Die Situation der Kunst in Westdeutschland
Seit 1945 versuchten zu verschiedenen Malen Leute, die mit der Kunst zu tun haben, ohne Maler zu sein, die deutschen Künstler, die 1945 da waren, zu animieren, den Anschluß an die Kunst der Gegenwart zu finden. Die deutschen Künstler standen so nackt und bloß da wie alle Deutschen, der Zusammenhang zur Umwelt fehlte, der Ansatzpunkt war nicht erkennbar. Die Traditionen waren gerissen, wenn überhaupt solche da waren. –
Jedenfalls bis in die Gegenwart hinein versuchten und versuchen Experten, die Künstler anzuregen, den Strom der Gegenwart zu finden und mit ihm zur eigenen Kunst zu kommen. Das scheiterte zum ersten Mal bei Fritz Winter. – Das scheiterte zum zweiten Mal bei Bissier, das scheiterte zum dritten Mal bei Emil Schumacher. Der letzte Fall ist schon – überreif – leicht albern.
Der erste Fall hieß Anschluß an das, was man danach ›école de Paris‹ nannte. Damit aber hatte Fritz Winter, der bereits in zwei Perioden wichtigste Bilder in die Gegenwart hineingemalt hatte, nicht zu tun. Er mußte daran versagen, aber er selbst ist da und wird – freier geworden – wieder da sein.
Der zweite Fall ist abhängig vom Deutschenkomplex. Wir alle haben – man soll es offen eingestehen und sagen – durch das Judenpogrom der Nazis unser Gesicht verloren. Natürlich gibt es Ausnahmen: Menschen, die auch hier waren, oder wieder hier waren, [die] zu einem Bruchteil jüdisch sind, die haben keinen Teil am verlorenen Gesicht, meinen sie. Darum also ganz, ganz klitzeklein – die Deutschen. Miniaturen. Aber leider Miniaturen von Paul Klee, der schon wirklich keine großen Bilder malte.
Und dann der dritte Fall. Alberne Schnulzen in der der ›Gazette de la société nouvelle d’Allemagne‹ – früher hieß das sehr schön ›Frankfurter Zeitung‹. Mister Selz vom Museum of Modern Art, New York, hatte vor zwei Jahren eine Ausstellung dort veranstaltet – das Menschenbild. – Daraus leitet der Herr Kritiker jenes Kirchenblättchens ab, daß nun die gegenständliche Kunst wiedergekommen sei und man ihr vorauseilen müsse. Also – Künstler, malt gegenständlich – aber bitte als informelle Kunst. Schnell getan! – Am Rande helfen Entgleiste!
Doch die Welt dreht sich weiter, und die deutschen Blättchen, die man mit gar nichts aus ihrem Dornröschenschlaf aufwecken kann, sind glücklich, endlich Künstler, die Anschluß an Fiktives gewonnen haben, kreieren zu können. Und eine Amerikanerin sagte mir in New York: »Es ist komisch, aber alle Deutschen, die ich hier spreche, sagen, sie seien Halbjuden.« So schrecklich es ist, aber ein echter Nazi – nun gut – so weit denn doch wieder nicht! –
Die katholische Linie geht vorsichtiger vor. Dem Künstler ist diese Linie nicht wichtig, sie hat mit der Kunst nichts zu tun. Die moderne Kunst kann damit nichts zu tun haben, alle Versuche, sie da einzubeziehen, sind kindisch. Marxismus? Auch nicht – natürlich. Die Katholiken haben’s schwer. Die Welt geht ohne Euch! –
Wir brauchen keine Sorgen zu haben, das einfache Volk, der natürliche deutsche Mensch, die wollen aus Instinkt deutsche Kunst der Gegenwart – ohne Ressentiments und Angst. – Um der Schärfe willen: Ich habe mehrmals eine Professur – nach der sich ja die wildesten Tachisten drängten – abgelehnt – und will sie weiterhin nicht. Ich bin keineswegs ein Entgleister, ich schreibe dies für meine Mitwelt – ohne jeden Hintergedanken.