21.1.1959

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Aus einem Brief an Erich Meyer

[…] Natürlich macht sich erst langsam bemerkbar, daß meine Kunst und ich selbst wieder einmal den Platz des Pionier- und Forschergeistes in der Kunst belegen, dessen höchste Form in der Moderne Cézanne darstellte, und der bei dem allgemeinen Psychismus an den Rand geraten war. Wie eben andererseits verstanden wird, daß Cézanne poetisch malte, seine Empfindungen geltend machte. Man kommt nicht darum herum, daß wir uns noch für sehr lange Zeit und auf weite Sicht im Zeitalter der Wissenschaft befinden, wo die Philosophie wie die Religion unbedeutend sind, die Naturwissenschaft aber nicht nur die »komplette Gegensätzlichkeit im romantischen Dämmer« zuläßt, sondern eine andere, die geistig geführte poetische Gestaltung, zur Seite oder zur Leitung hat, die sich nicht im Gegensatz befindet, ebensowenig wie auf gleicher Linie. – So fällt der Kunst, ohne daß sie es wollen darf, die eigentliche Menschenformung zu. Diese Reflexionen behindern allerdings zur Zeit das Malen, ist es doch auch stark belastend, plötzlich alle 34 Jahre vereint zu sehen als Bilder an den Wänden einer Ausstellung. Ich selbst habe ja bei jedem Bilde nicht das Bild gewollt, sondern daszu malen versucht, was ich für des Malens Wert zu halten schien.

So kommt im Ganzen etwas heraus, was sich ohne Pathos und Idealismus jenseits von Tradition und Nihilismus bewegt. Nur einmal – Blumenkohlstillleben 1928 – gab ich auch bei der europäischen Malerei der Tradition meine Visitenkarte ab, als Höflichkeitsform, und diese Visitenkarte kann sich sehen lassen. Denn sie ist wie am ersten Anfang untraditionell. […]

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von E.W.Nay