um 1958

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Aufzeichnung um 1958

Wenn Berlin stünde und lebte wie früher, wäre es der urbane Platz einer neuen Weltkunst. Ein solcher Platz ist zur Zeit nicht vorhanden. Paris ist künstlerisch inaktiv und ein Umschlagplatz für Kunsthandel geworden. London, Rom, Mailand rechnen nicht. Wien könnte etwa Berlin ersetzen, doch ist es eine Frage, ob eine Weltkunst im Ganzen dort Standort haben könnte. Prag ist fort, in Europa also ist kein urbaner Platz. New York ist im Kommen.

Zur Weltkunst ist ein urbaner Platz, eine Großstadt, notwendig. Der Einzelne, das ist ein unglaublich harter Weg und ein erschüttertes Leben. Aber anders geht es heute nicht.

Eine universale, im Grundsätzlichen religiös gestimmte Kunst, die ganz Kunst ist, bis zum Artismus Kunst ist, so weit getrieben, daß von selbst eine universale Religiosität aus ihr herausgeschleudert wird. Eine sinnliche Kunst, eine kraftvolle Kunst, eine Kunst, die als Lebensäußerung stark auftritt, preßt aus sich spontan eine universale Empfindung heraus, die eine neue Definition des Religiösen enthält, eine weltzugewandte Transzendenz. Diese Kunst ist meine Kunst. Künstler: Malewitsch, Kandinsky, Rothko, Tobey, Pollock, Nay. Das sind einige Namen, die diese universale Kunst hervorbringen. In dieser Kunst stellt sich eine Objektivation dar. Die Subjektivation, der solipsistische Psychismus, ist bis an seinen Endpunkt gelangt.

Eine letzte Stunde ist gekommen, eine äußerste Entscheidung. Der Westen – geformt vom Cartesianismus – ist wirkungslos geworden, Spanien malt die Leere nach dem Fortgang des Christentums, sozusagen Heiligenbilder ohne Heilige. In Deutschland grassiert die Nachahmung oder der biedermeierische Kleinmeister. Die amerikanischen Maler sind etwas zu hastig und bleiben oft in der Materie stecken. Aber sie sind aussichtsreich.

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von E.W.Nay