17.11.1956

1

Aufzeichnung vom 17.11.1956

Das große Bild für das Chemische Institut der Universität in Freiburg ist fertig. Es hat das Format 2,55 x 6,55 m und hängt im sehr geräumigen Vestibül des Chemischen Instituts. Bei diesem Bilde gab es weder Forderungen von Seiten der Auftraggeber noch Skizzen und Vorarbeiten, die direkt auf das nun fertige Bild zielten. Aber es gab lange Vorbereitungen in Gestalt von drei Bildern in Öl (85 x 200 cm) und vielen Aquarellen, um den beiden Gefahren eines so großen und langgezogenen Formates zu begegnen. Einmal handelte es sich darum, den Eindruck einer Vergrößerung einer Skizze zu vermeiden, zum andern darum, die Addition, d.h. die Aufzählung von Formabläufen, zu verhindern. Vorarbeiten und Improvisation während des Malens ergaben Folgendes: der tragende Einfall ergab sich dahin, daß die Mitte des Bildes leer gehalten wurde, aber stark in der Farbe, ziegelrot. Zu beiden Seiten der Mitte fügen sich große Farbkomplexe, die sich reziprok in der Art des ›Krebses‹ zueinander verhalten. Rechts die dunkelsten Scheiben (Pariserblau) stehen auf helleren Blaus, die sich (Kobaltblau, Ultramarinblau, Coelinblau) als positive Potenzen verhalten. Links graue Scheiben in verschiedenen Werten auf Pariserblau. Das Rot der Mitte geht zugleich in einzelnen ›Potenzen‹ nach den Ecken links und rechts oben. Die Übergänge über das Rot hinweg weisen von Blau zu Violett mit Orange begleitet zu kaltem Grün ins Grau (artistische Farbverwandlung von rechts unten nach links oben). In der Mitte des Bildes oben und unten und links unten und rechts oben starke von Orange und Rot durchsetzte Gelbkomplexe, die sich vertikal miteinander verbinden. Klammern, von der linken Kante in Hammerform, rechts oben in Keilform, helfen die bewegten Rhythmen als Fläche einzuhalten. Dies die äußerliche Flächenordnung.

Der Flächenraum des Bildes dreht sich in sich selbst, ist also nicht perspektivisch und nicht flach, obwohl jede Farbe intensiv als Fläche steht. Die farbige Setzung bewegt sich in rhythmischen Läufen, die nicht kinetischer Natur sind, sondern durch potentielle Volumen (Scheiben) zustande kommen.

Diese potentiellen Volumen interessieren die Naturwissenschaftler, die die Natur als einen Prozeß der Verwandlung von Materie in Energie verstehen. Ein Gespräch ließ möglicherweise die Frage ›Kunst und Natur‹ in einer neuen Definition erkennen. Die rote Leere in der Mitte meines Bildes, so sagten sie, sei ähnlich gesetzt, wie man sich etwa die Entstehung von Sternen vorstellt: die Mitte leer, aber heiß, daraus die Energie Masse schafft, die energetisch ist. Dies ist zugleich die Definition der potentiellen Energie. Die zweite Feststellung, die sie machten, betraf die Scheiben, die einmal glatt gestrichen, zum andern gestrichelt gesetzt sind, das sehen sie nicht ästhetisch an, sondern als Spannungssetzen von potentieller Energie.

Über den Autor

von E.W.Nay