Aus einem Brief an Günther Franke
[…] ich muß Ihnen einmal einen vollkommen anderen Brief schreiben und will versuchen, in diesem Briefe zwei Fragen anzudeuten. Die erste Frage oder eine der beiden Fragen heißt: was sagen die Kunstleute zu meiner Kunst? und die zweite Frage: was glaube ich von meiner Kunst zu wissen? Der Augenblick ist da, wo man versuchen muß, beide Fragen andeutend irgendwie klarzulegen.Vorerst noch eine Vorbemerkung: in dieser Situation interessiert mich der Verkaufserfolg gar nicht. Ihn lasse ich hierbei aus. Es ist überraschend für mich selbst – das soll noch vorausgeschickt sein, daß ich von Geld etwas verstehe. Doch muß ich sagen, daß ich zum Gelde ein immer gleichbleibendes Verhältnis habe, das so zu definieren ist, daß ich mich für Geld als Besitz überhaupt nicht interessiere und nicht interessieren werde. Geld ist, wie es für mich immer war, die Möglichkeit, meine Kunst zu betätigen und Freiheit den praktischen Dingen gegenüber zu besitzen. Geld ist also für mich nur dazu da, Bilder zu malen und zu nichts anderem. Ich sage das sehr ernsthaft, weil ich weiß, daß dies so ist. Es ist ganz klar, daß sich Elisabeth[1] diesen meinen Vorstellungen eindeutig fügt.
Und nun die beiden Fragen:
Mir erscheint es richtig mit der zweiten Frage, was glaube ich von meiner Kunst zu wissen?, zu beginnen.
Ich bin davon überzeugt, daß ich im Laufe meiner künstlerischen Entwicklung Spielregeln des künstlerischen Tuns gefunden habe, die es mir ermöglichen, das in mich gelegte Talent zur Farbe in der Freiheit meiner Person als Künstler auszutragen. In meinem Büchlein über die Gestaltfarbe habe ich – übrigens bewußt außerordentlich vorsichtig – diese Spielregeln in ihrer Grundkonzeption bekanntgemacht. Ich habe ebenfalls überlegt gehandelt, indem ich über die Kunst selbst, die aus diesen Spielregeln entstehen könnte oder entsteht, kaum etwas gesagt habe, wissend, daß man Kunst, wenn man Maler ist, nur malen kann und nicht sagen. Aber ich weiß sehr wohl, daß Spielregeln bereits, wenn in ihnen ein Mensch unserer Zeit tätig ist, zugleich Kunst bedeuten. Trotzdem ist dabei der Gedanke wirksam, was denn Kunst heute und für mich sei, wenn Spielregeln zugleich Kunst sind. Auch ich – nicht nur die Umwelt – frage nach dem eigentlich vom Bild her zu Verstehendem, wenn meine Bilder gemalt vor mir stehen.
Raumprobleme, chromatische Reihen, die Fläche als Gegebenes, das gehört in die Spielregeln. Wenn diese Spielregeln – ich weigere mich hierbei das Wort ›Methode‹ zu gebrauchen – zugleich Kunst seien, so ist die Frage nicht gefragt, was denn nun die Kunst dabei sei. Denn die Kunst ist auch hierbei das Nicht-Vorhergewußte. Wenn ich meine letzten Bilder ansehe, so kann ich sagen, daß ich gerade in letzter Zeit die Spielregeln selbst auf die äußerste Direktheit und das frontale Setzen als Bild gebracht habe. Mithin bedeuten also auch diese Spielregeln. (Übrigens weiß ich sehr wohl, daß diese Spielregeln auch in der Dichtung unserer Gegenwart, auch in der Musik, dieselben sind.) Es liegt also ein Zeitereignis darin und Kunst, wenn sie gemalt wird, ist immer Gegenwart, je, wann sie gemalt wird. Ich stelle fest, daß in meiner Kunst eine nicht individuelle, eine nicht subjektive, sondern eine objektive, von der Künstlerperson fern gelegte Tendenz wirksam ist. Ich würde also sagen, daß die vorher genannten Spielregeln eine Konstellation hervorgerufen haben, auf Grund deren »Konstellation« (chromatische Reihe zur Fläche u. Ä.) formales und zugleich magisches Ereignis wird.
Zwischenabsatz: übrigens nennt Usinger* meine Kunst in dem jetzt eben erschienenen Piper-Bändchenstellar. Nur würde ich Wert darauf legen, daß damit nicht Kosmogonie gemeint sei.
Die andere Frage:
Grohmann berichtete mir davon, daß die Kunstleute in U.S.A. und überhaupt sich folgende Gedanken machen, in denen meine Kunst eine gewisse Rolle spielt. Man hat die historische Entwicklung der modernen Malerei unter die Lupe genommen und man glaubte festzustellen, daß die eigentlich geistige, d.h. nicht vom Gefühl betonte, d.h. diejenige Entwicklung in der modernen Kunst, die das Geistige mit dem Formalen und Menschlichen zu binden vermag, zwischen den 20er und 30er Jahren aufgehört habe. Man argumentiert, daß schon der Kubismus (Braque, Picasso, Gris) zu Gunsten offensichtlich notwendiger Erfahrungen auf seelischem Gebiet, d.h. also, daß die geistige, formale Übereinkunft zu Gunsten seelischer Ereignisse in der Kunst in den 20er Jahren halt gemacht habe. Man nimmt aus: ›Guernica‹. Und man argumentiert weiter, daß es in unserer Zeit die Möglichkeit geben müsse, jene Linie, die die formalen, aus Spielregeln gewonnenen geistigen Setzungen der Kunst weiter entwickelt, nunmehr fortzusetzen. Man hofft auf die zweiteHälfte unseres Jahrhunderts. Natürlich würde nun die Spielregel anders aussehen müssen als damals – und man ist geneigt anzunehmen, daß meine Kunst dafür stehen könnte.
Wenn ein Pollock und ein Michaux den Automatismus in die Welt gesetzt haben, so (man argumentiert in diesem Sinn) wäre jener Automatismus eine Betätigung des Existentiellen und die letzte Möglichkeit des Expressiven. Das heißt, der Künstler versucht aus sich heraus – ohne das bildnerische bewußte Element einzubeziehen – existentiell, also daseiend, Vorhandensein bildend, (unter Ausschaltung bewußter formaler Ambitionen) Bild als Existenz zu schaffen. Aber, so argumentiert man weiter, diese Künstler machen alle dasselbe, einer wie der andere. Das bedeutet also, daß der Europäer nicht in der Lage ist, auf diesem Wege persönliche Erfindungen zu entwickeln. Man könnte sagen, dieser Europäer habe sich überfordert. Nun, was das Seelische und Menschliche anbelangt, dürften wir ja in unserem Lande durch Krieg und Nachkriegszeit überfordert sein.
So sehen etwa die Gedanken aus, die die Leute sich um die Zeit und meine Kunst machen. […]
[1] Nays Frau Elisabeth.