11.2.1950

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Aus einem Brief an Günther Franke

[…] Ganze große Völker lebten und leben ohne Transzendenz, die Chinesen z.B. Aber welch alberner Unfug, den 1920 schon herumgeisternden Zen-Buddhismus wieder auszugraben! – Subjektiv – und verwechselt man das Wort etwa meist nicht mit individuell? Ist reine, direkte Diesseitigkeit nur als Materialismus zu verstehen, oder ist das noch etwas anderes? Etwa wüste Sinnlichkeit? Alles unmöglicher Unsinn. Psychologie?

Wo aber bleibt die Frage nach der Gestaltung, nach dem Bilde? Aus Religionen oder Religionsersatz kommt keine Kunst. Es gibt kein Absolutum anstelle des wirklichen, auch nicht des gedachten Gottes. […]

»Um die Kunst seiner Zeit zu verstehen, muß man die Philosophie seiner Zeit verstehen«, sagt Goethe. Und also sollte man erst mal Heidegger lesen, dann gehen die billigen Propheten der Zeit […] in Dunst auf. Am besten aber, man versucht, die Bilder der Zeit zu verstehen, indem man hinter ihnen nichts anderes sucht, als was sie an Form sind. Der Begabte wird schon niemals Formalismus machen, der Unbegabte aber auf jeden Fall außerbildnerische Tendenzen zu Hilfe nehmen.

Bild oder nicht Bild, das ist die ganze Frage. […]

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von E.W.Nay