28.11.1938

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Aus einem Brief an Alfred Hentzen

[…] Ich hörte von Heise, daß Sie sich sehr verständig und kameradschaftlich Sorgen machen über mich und meine jetzige künstlerische Entwicklung. […] Vom Typ Kleist – van Gogh etc., wie ich es nun mal bin, werden die Kontraste in mir wohl erst in der vollen Verbrennung zur Einheit finden. Daß es so kommt, ist andererseits nicht unbedingt notwendig, da nach aufgeregten Zeiten immer wieder ruhige eintreten und meine auch noch so erregten Bilder strengen Gesetzen unterworfen sind, die mir Sicherheit geben, vor allem, da es uralte Gesetzmäßigkeiten sind …

Weil mein Leben etwas verworren erscheint, spiele ich ein wenig den Luftikus, den Sie mir mit Recht nicht glauben. – Es ist nicht ganz so, daß meine Bilder aus Verklemmung persönlichen Schicksals so wild flackern, es ist auch die Zeit, in der ich stehe und zu der ich sogar stehe und an der ich teil nehme, die ja voller tiefster Unruhe, Wertveränderungen, Krieg etc. ist. Kann das an der Kunst spurlos vorübergehen? Doch nur bei den nur Talentierten. Jeden beansprucht diese Zeit sehr stark, so will jeder Ruhe finden in der Kunst etc. Das ist verständlich, aber falsch im Sinne des wirklichen Lebens. Sehen Sie die Expressionisten in der Vorkriegszeit. Solange, bis wir Deutschen nicht aus allem heraus unsere eigene Kunst wiederentwickelt haben, unseren klaren Stil, wird es solche Eruptionen geben müssen. Der Unterschied von damals zu heute ist ja schon der, daß ich höchste Ansprüche an das Gesetz, wie es das Wesen der kreatürlichen Welt und nicht die Artistik befiehlt, stelle. Daß ich nun jetzt so wild geworden bin, liegt also nur zum Teil an meinem Privatleben.

Das ist nun der Punkt, an dem ich um Ihr besonderes Verständnis bitten möchte. Zieht Ihr Euch alle von mir zurück und laßt mich allein, dann verschlimmert sich natürlich der Zustand. Holt mich ein wenig aus dieser übergroßen Einsamkeit heraus und Ihr helft mir […].

Über den Autor

von E.W.Nay