Aufzeichnung vom 15.3.1968
Wenn man, was realistisch ist, weiterhin annimmt, daß Kunst zwar jedermann gehört, aber nicht von jedermann verstanden werden kann, wenn man also feststellt, daß die letzte amerikanische Welle jedermann ansprechen soll, aber nur ganz wenige Leute Dinge dieser Welle kaufen können, dann kann man zu europäischen Maßstäben zurückkehren. Einige Kunsthändler in Westdeutschland haben sich dabei ins Fettnäpfchen gesetzt und bekommen – so freundlich geht man mit Künstlern nicht um – das Prädikat: utopisch!
Utopisch aber auch, weil die Preise utopisch waren. Jene Herren behaupten auch, daß das Malen mit Pinsel, Farbe, Leinwand passé sei. Und das sind Leute, die eine Buchbinderei und Druckerei besitzen – jene Herren.
Kehren wir also zu Europa zurück, jenem komplizierten Schrebergartengebilde, das sich nun von vielerlei Ballast zu befreien scheint. Übrig bleibt in jedem Falle die Differenziertheit des Europäers.
China – nicht das politische, Amerika – nicht das popistische, Europa – nicht das in Frustrationen erstarrte, das ist also die ›Welt‹, in der der moderne Mensch, so er bewußt ist, lebt. Außer den normal bekannten Gütern Europas, über deren Ausfall nirgend mehr ein Zweifel besteht, fallen für die Kunst, für die ›Inspiration‹ folgende ›Güter‹ aus:
1) die Geometrie. Die moderne Mathematik hat mit Plato und Euklid wie Aristoteles nichts mehr zu tun.
2) die Illusion. Man ist endlich desillusioniert genug.
3) die physikalischen Erscheinungen der Optik. Die Physik hat andere Probleme.
4) der Mythos.
Es gibt keine Auslegung geistiger, umfassender Art der Gegenstände um uns herum, so lange wir anerkennen, daß es besser ist, wenn ein Maler Designer als wenn ein Designer Maler wird. Ein Designer, der Schuhe entwirft, ist ein Geschäftsmann, z.B. in Amerika, wird er plötzlich Maler, ist er Amerikaner. In Paris kommt zuerst der Pariser, dann der Franzose, der in Paris lebt, dann der Ausländer, der in Paris pariserisch lebt, dann nichts mehr. Zwei nationale Frustrationen. Dann melden sich Gruppen, zu deren einer nicht zu gehören, im pragmatischen Sinne Dummheit ist. Der pragmatische Mensch hat ohnedies immer recht. Außer er läßt die Kartoffeln anbrennen. Also lebt er sehr eng begrenzt.
Pragmatik und Nationalität sind Laster unserer Zeit, Frustrationen jeglicher Art ebenfalls. Existent ist, wer anerkennt, daß die Gegenwart von den Naturwissenschaften und den Künsten, wenn sie auf deren Gegenpol stehen, geformt wird. Existent heißt hier natürlich außerhalb der pragmatischen Existenz. Die Stellung der Künste zu definieren, ist nicht leicht. Wie schon gesagt, können sie nicht von verbrauchten Gütern inspiriert werden, sondern nur von unverbrauchten, also von der modernen Forschung. Ein der Forschung nachlaufen, ein mit ihr zusammengehen ist unsinnig. Die Kunst hat ihre eigenen Wege. Wenn schon Forschung, dann wären es die Psychologie, die Psychoanalyse, die beide immer mehr Allgemeingut werden, wobei sehr viele Tabus abgebaut werden. Und die Hirnforschung, die feststellen muß, daß ›das‹ Zeitalter der Technik ein Ausdruck ist, der zur Gegenwart nicht mehr paßt.