Februar/März 1968

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Aufzcichnung von Februar/März 1968

Die lateinische Bezeichnung ›ars multiplicata‹ weist auf den früheren Brauch der Wissenschaftler und gebildeten Laien hin, sich möglichst lateinisch auszudrücken, einen Brauch, der nicht gerade ins 20. Jahrhundert paßt.

Dem kleinen Mann will man imponieren. Das ist eine bemerkenswerte Bloßstellung. Wenn auch die Wissenschaften nichts mit der Kunst zu tun haben, niemals, so sind doch die Wissenschaftler wie die Künstler einer Zeit vom gleichen Zeitgeist geprägt. Die modernen Naturwissenschaften kennen schon lange nicht mehr Begriffe wie konstruktiver Raum, im Sinne der Geometrie, Perspektive, Illusion, fixiert definierbare Materie. Die moderne Mathematik arbeitet schon lange nicht mehr mit der Geometrie.

Auch die in die Farbendarstellung aufgenommene physikalische Optik gehört vergangenen Zeiten an. Also gehören diejenigen Künstler, die sich mit Geometrie, Perspektive, Illusion, Optik befassen, ins 19. Jahrhundert. Ebenfalls diejenigen, die mit Mythos arbeiten. Es handelt sich also bei den Erzeugnissen, die man Multiples nennt, prinzipiell und exakt um Äußerungen des Naturalismus des 19. Jahrhunderts, um einen Rückfall ins 19. Jahrhundert, und man sollte den totalitären Anspruch dieser Herren auf die Bezeichnung ›Avantgardiste‹ belächeln, wären sie eben nicht – und das mögen wir nicht – totalitär. Anders wäre es, man sagte, die große Phase der modernen Kunst sei erstmal beendet, eine neue zeigt sich noch nicht, es gibt da bisher nur Einzelgänger – also warum nicht, wie in der Mode, auch mit den Formen des 19. Jahrhunderts mal bildnerisch herumspielen. Der scheußliche Ernst, mit dem das alles betrieben wird, führt dann ja nun auch zu den Pop funèbres Kassel 68.

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von E.W.Nay