Jüngste Texte

23.3.1953

Aufzeichnung vom 23.3.1953

Gegen die Wiedergeburt des Mittelalters

Die braune Vorzeit ist vorbei, das schwarze Mittelalter kündigt sich an. Im Expressionismus – die mittelalterlichen Tendenzen, Uta von Naumburg, gemalt von S.-R. [Schmidt-Rottluff], dann Nolde, Barlach, auch Marcks. Erfolg bei Katholiken daher. [...]

April/Mai 1953

Rede zur Eröffnung der Ausstellung
›E. W. Nay – Ölgemälde, Aquarelle und Graphiken‹
Overbeckgesellschaft Lübeck, 17. Mai - 21. Juni 1953

I. Teil: Kunst und Publikum – Was sind Bilder?

Herr Dr. von Borries[1] hatte die Liebenswürdigkeit mich zu bitten, Ihnen einige Handhaben zu geben oder den Versuch zu machen, diese Handhaben möglich zu machen, um den scheinbaren Wirrwarr der gegenwärtigen Kunstsituation aufzuhellen. Dieser Tage war ich in Düsseldorf und sah in einem Tage zwei Ausstellungen, eine Sonderausstellung alter Meister, die ins Museo São Paulo kommen, überfüllt, und eine Ausstellung eines modernen Meisters unserer Zeit, eines Franzosen, André Beaudin, ohne jedes Publikum. Was geschieht hier? [...]

20.5.1953

Aufzeichnung vom 20.5.1953

Meine neuen Bilder scheinen in Hamburg und Lübeck noch recht problematisch zu sein. Die Metapher (Sternblattranken) ist verlassen, an ihre Stelle ist das Modell getreten. Die Methode (Hirtenmelodie) ist nicht mehr ohne weiteres intellektuell nachzuprüfen, sie ist im Kalkül verschlüsselt (Heiterkeit). Die Bewußtheit verbindet sich mit der Primitivität, beide sind die Pole des heutigen Menschen, aus denen Unbefangenheit und Ursprünglichkeit hervorgehen. [...]

Mai 1953

Beitrag zum Katalog der Ausstellung ›E. W. Nay‹
Kunstverein Freiburg, Mai 1953

Ich lebe das Abenteuer der weißen Leinwand, natürlich, und natürlich mit Methode. Es ist nicht meine Aufgabe, aus Methode Logik zu machen. Mir hilft die Methode nur insofern, als sie mich inspiriert.

Ich bewege mich in der artistischen Welt, in einer Vorstellungswelt, die mit den Vorstellungen der naturwissenschaftlichen Welt nichts zu tun hat. [...]

Mai 1953

Notiz zur Ausstellung
›The second International Art Exhibition of Japan‹
Tokio, 20. Mai – 8. Juni 1953

Bilder sind die besten Vermittler; leichter und direkter als Worte fördern sie das Verständnis der Völker untereinander. Phantasie, Erfindung, geistige Methode und technisches Handwerk, das sind die Voraussetzungen, unter denen der Mensch ein Kunstwerk macht – auf der ganzen Welt. Ich hoffe, daß der japanische Betrachter dieser Ausstellung auch in dieser Kunst das menschlich Verbindende wiederfindet.

14.8.1953

Entwurf eines Vorwortes für die Publikation
›Vom Gestaltwert der Farbe‹

Über die arithmetische Methode

Erste Gedanken formulierte ich in den Jahren 1948/49.

Meine Erkenntnisse sind denkender Nachvollzug der gemalten Bilder. Dem Erfinden von Bildern folgt die geistige Kontrolle und darin das Setzen von Situationen, aus denen wieder in Freiheit weitere Bilder entstehen. In diesem Wechsel vollzieht sich das Werk des Künstlers. [...]

August 1953

Aufzeichnung von August 1953

Wer einmal diffamiert war, bleibt es immer. Er hat – unter welchen Umständen auch immer – bewiesen, daß er gefahrlos angreifbar ist. Das wiederholt sich. Das bleibt seine Lebensform. Andere als die vorigen werden ihn angreifen, immer wieder andere. Einmal braun – ein ander Mal schwarz. Das dritte Mal – der Tod! –

13.9.1953

Aufzeichnung vom 13.9.1953

Daß die Seelenkunst – auf Kandinsky fußend – zu Ende geht, sich immer mehr ausbreitet, bis sie uferlos versinkt, daß eine neue Kunst im Entstehen ist, die von Deutschen und wohl auch von amerikanischen Künstlern vorangetragen wird, eine Kunst, die exakt formt, aber nach neuen Prinzipien, die Rhythmus und Vitalismus, Bewußtheit und Primitivität heißen. [...]

22.9.1953

Aufzeichnung vom 22.9.1953

Ich habe einen starken Argwohn gegen die Definition des Geistigen als des Inneren, des metaphysischen Kerns des Menschen. Diejenigen, die diese Idee vertreten, sind mir verdächtig. Immer sind es Leute der bürgerlichen Gesellschaft, von der jeder weiß, daß sie nicht mehr so existiert, daß sie geistige Emanationen und Konzeptionen von umfassender Gestalt herzustellen vermag. Es existiert gar keine Gesellschaft, weder eine bürgerliche noch eine unbürgerliche. [...]

14.10.1953

Aus einem Brief an Adolf Arndt

[...] Der Unterricht ist sehr, sehr schwer, aber menschlich gut – ich habe bereits meine Schüler – es sind nun schon 24 in zwei Räumen in der Hand. Trotz dieser menschlich guten Situation ist es ungemein schwer, Farbgestaltungen in einzelnen zueinandergehörenden einfachen Übungen sichtbar zu machen. [...]